Buchtipp
Kunst lehren
Kunst lehren“ lautet der Titel eines Sammelbandes, der drei grundlegende Schriften des Malers und Kunstpädagogen Johannes Itten (1888–1967) enthält.
Dieser wird im Allgemeinen als Begründer einer neuen Kunstpädagogik verstanden. Sein Name ist eng mit den am Bauhaus praktizierten pädagogischen Prinzipien verknüpft. Obwohl er nur vier Jahre (1919–1923) als Formmeister aller Werkstätten an dieser Ausbildungsstätte tätig war, trug der von ihm eingeführte und geleitete sechsmonatige Elementarunterricht entscheidend zur Stabilisierung der Schule bei.
Dass Johannes Ittens Lehre nachhaltig bis in die Gegenwart wirkt, liegt sicherlich an seinem offenen Ansatz und seinem Verständnis vom Menschen als als ganzheitliches Wesen. „Von allem Anfang an war mein Unterricht auf kein besonders fixiertes äußeres Ziel eingestellt. Der Mensch selbst als ein aufzubauendes, entwicklungsfähiges Wesen schien mir Aufgabe meiner pädagogischen Bemühungen. Sinnesentwicklung, Steigerung der Denkfähigkeit und des seelischen Erlebens. Lockerung und Durchbildung der körperlichen Organe und Funktionen sind die Mittel und Wege für den erzieherisch verantwortungsbewussten Lehrer“, beschreibt er seine Auffassung.
Sie spiegelt sich schon während seines Intermezzos am Weimarer Bauhaus wider, wo Johannes Itten mit dem sogenannten „Vorkurs“ das Ziel verfolgte, „die schöpferischen Kräfte und damit die künstlerische Begabung der Lernenden freizumachen.“ Die Studierenden sollten sich von akademischen Konventionen befreien. Ihnen sollte die Berufswahl u.a. durch Material- und Textur-Übungen sowie durch die Vermittlung der Grundgesetze bildnerischen Gestaltens erleichtert werden. Der Vorkurs wurde zum festen Bestandteil der Bauhaus-Lehre. Die Teilnahme war obligatorisch und entschied über die Aufnahme in den Kreis der Bauhäusler. „Dass der Vorkurs am Bauhaus gegenüber ähnlichen Vorklassen an anderen Kunst- oder Kunstgewerbeschulen jene legendäre Berühmtheit erlangen konnte, die er heute allenthalben besitzt, hängt jedoch entscheidend mit der Persönlichkeit von Johannes Itten zusammen, dem es aufgrund seiner Doppelqualifikation als ausgebildeter Lehrer mit progressiven Erziehungsauffassungen und als avantgardistischer Künstler gelang, der Bauhaus-Pädagogik in der Gründungsphase des Institutes ein unverwechselbares, ja geradezu eigenwilliges Profil zu geben“, stellt Rainer Wick fest („Bauhaus-Pädagogik“ 1982, S. 78).
Ittens Ideen gehen auf reformpädagogische Prinzipien zurück, die sich gegen die autoritären Methoden konventioneller Schulen wandten und die Eigenständigkeit der Schüler anstrebten. Er selbst hatte sie während seiner Ausbildung zum Lehrer kennen und schätzen gelernt. 1908 trat er bei Bern seine erste Stelle an und versuchte, „alles zu vermeiden, was die naive Unbefangenheit der Kinder hätte stören können. Fast instinktiv erkannte ich, dass jede Kritik und Korrektur beleidigend und zerstörend auf das Selbstvertrauen wirkt, dass Aufmunterung und Anerkennung für geleistete Arbeit das Wachstum der Kräfte fördern“, erinnert er sich in seiner „Gestaltungs- und Formenlehre“.
Als Johannes Itten 1913 zu Adolf Hölzel an die „Königliche Akademie der Bildenden Künste“ in Stuttgart kam, um bei ihm Malerei zu studieren, hatten das umfassende Studium der Farbenlehre, die Untersuchungen von Hell und Dunkel sowie die Analysen alter Meister großen Einfluss auf ihn. Er integrierte sie ebenso in sein späteres Lehrkonzept wie die gymnastischen Lockerungsübungen, die Hölzel zu Beginn einer Unterrichtseinheit bei seinen Schülern eingeführt hatte. Von Hölzel bekam er darüber hinaus erste Schüler vermittelt. Als Itten 1916 nach Wien zog, ermunterten ihn diese Erfahrungen, eine eigene Kunstschule zu gründen, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Hier verband er seine pädagogische Vorbildung mit der eigenen künstlerischen Tätigkeit und den Erkenntnissen, die er während des Studiums gewonnen hatte, modifizierte und erweiterte sie.
In der Lehre fand Johannes Itten fortan eine Aufgabe, die ihn ebenso erfüllte wie die eigene künstlerische Arbeit. Nach der Bauhaus-Episode gründete er 1926 eine eigene Kunstschule in Berlin. Er konzipierte sie konsequent nach seinen kunstpädagogischen und gestalterischen Vorstellungen. Parallel dazu leitete er seit 1932 die „Höhere Fachschule für Textile Flächenkunst“ in Krefeld. Die Berliner Schule wurde von den Nationalsozialisten 1934 geschlossen, und 1938 entzogen sie ihm auch die Leitung in Krefeld. Itten emigrierte daraufhin nach Holland und erhielt zum Jahresende den Ruf an die „Kunstgewerbeschule Zürich“, die er als Direktor leitete, ebenso wie ab 1943 die Textilfachschule sowie 1952–1956 das Museum Rietberg.
Erst nach seinem Ruhestand 1954 widmete sich Johannes Itten wieder intensiv dem eigenen malerischen Werk und trieb die Veröffentlichung seiner Schriften voran, von denen die „Kunst der Farbe“, die „Gestaltungs- und Formenlehre“ und die „Elemente der Bildenden Kunst“ in dem Buch „Kunst lehren“ versammelt sind.
Als Johannes Itten 1960 an seinem großen Buch „Kunst der Farbe“ arbeitete, entwarf er zeitgleich eine „kleine Farbenlehre“, „denn es war sein Wunsch, mit einem bescheideneren, für jeden erreichbaren Buch das Wissen über die Gesetzmäßigkeiten und Möglichkeiten der Farbe einem noch viel größeren Kreis von Interessierten, vor allem auch Schülern und Studenten, zu vermitteln, als dies mit der großen ‚Kunst der Farbe‘ möglich sein konnte“, schreibt Anneliese Itten rückblickend in ihrem Vorwort zur Studienausgabe „Kunst der Farbe. Subjektives Erleben und objektives Erkennen als Wege zur Kunst“, die in die boesner-Sonderausgabe aufgenommen wurde. Darin ist die Farbenlehre Ittens, die er im Laufe seiner Lehrtätigkeit in Weimar, Berlin, Krefeld und Zürich kontinuierlich hat weiterentwickeln können, zusammengefasst und anhand zahlreicher Bildtafeln visualisiert.
1963 setzt Itten seine Schriftenreihe mit dem Buch „Mein Vorkurs am Bauhaus. Gestaltungs- und Formenlehre“ fort. Es führt in sieben Kapiteln in die Grundlagen künstlerischer Gestaltungs- und Formenlehre ein und ist ein Basiswerk der Kunsterziehung mit vielen Originalarbeiten von Schülern. „Wenn dieses Buch als Wegweiser anderen Schülern und jungen werdenden Künstlern auf ihrem schwierigen Weg Mut und Anregung geben kann, wird mein mit der Veröffentlichung verbundener Wunsch erfüllt“, erläutert Johannes Itten seine Absichten. Unter dem Titel „Gestaltungs- und Formenlehre. Mein Vorkurs am Bauhaus und später“ erfährt das Buch 1975 eine von Anneliese Itten herausgegebene Nachauflage, die sie gegenüber der Originalausgabe um zahlreiche Schülerarbeiten, u.a. auch der Ittenschule in Berlin, ergänzt hatte. Es ist diese erweiterte Ausgabe, die in den Sammelband Eingang gefunden hat.
Mit „Elemente der Bildenden Kunst. Studienausgabe des Tagebuches“ macht der boesner-Band Aufzeichnungen von Johannes Itten wieder zugänglich, die er ursprünglich 1930 im Eigenverlag seiner Berliner Schule veröffentlicht hatte. Aufgrund der niedrigen und exklusiven Erstauflage waren sie lange Zeit nur einer sehr begrenzten Leserschaft zugänglich, und auch die Studienausgabe von 1980 (2. Auflage 2002) wird mittlerweile seit vielen Jahren nicht mehr regulär auf dem Buchmarkt angeboten. Itten selbst untertitelte das Dokument als „Beiträge zu einem Kontrapunkt der bildenden Kunst“. Es zeugt in einzelnen handgeschriebenen und -gezeichneten Blättern von seiner täglichen Auseinandersetzung um die Prinzipien der Kunst. In dem gegenüber dem Original leicht gekürzten und verkleinerten Text (ursprünglich 39 x 52 cm) der Sonderausgabe werden die handschriftlichen Einträge zum besseren Verständnis einer gedruckten Umschrift gegenübergestellt.
„Kunst lehren“ vereinigt die Studienausgaben der richtungsweisenden pädagogischen Schriften von Johannes Itten. Diese „Klassiker der Kunstpädagogik“ sind aufschlussreiche Zeugnisse der Zeit, in der sie entstanden. Als solche haben die Herausgeber sie auch bestehen lassen. Lediglich mit einem Vorwort versehen, wurde jeder Band unkommentiert und im Layout der zuletzt veröffentlichten Studienausgabe sowie mit der entsprechenden Paginierung abgedruckt. Wer das Buch als Grundlage einer wissenschaftlichen Arbeit zitiert, kann somit auf die Seiten der Originalausgabe verweisen. Gleichzeitig sind Ittens ganzheitlicher pädagogischer Ansatz und sein weit gefasster Zugang zur Kunst, der nichts ausschließt und damit sowohl auf figürliches wie auf abstraktes Arbeiten übertragbar ist, nach wie vor zeitgemäß und impulsgebend. Mit der preiswerten Sonderausgabe entsprechen die Herausgeber darüber hinaus einem Anliegen von Johannes Itten, der mit seinen Publikationen Kunststudierende erreichen und „jungen werdenden Künstlern Mut und Anregungen“ geben wollte.
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