„Marmor ist zu vergleichen mit dem Wesen einer Jungfrau, Kunststein mit dem Wesen einer Großstadtdirne“ – solch harsche Kritik schlug in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einem Werkstoff entgegen, der ursprünglich aus der Architektur stammte, aber längst in die Bildende Kunst Einzug gehalten hatte: Beton.*
Das Gemisch aus Zement, Sand oder Kies und Wasser war gegenüber den edlen und technisch anspruchsvollen Materialien wie Marmor oder Bronze vergleichsweise einfach zu verarbeiten und zudem kostengünstig verfügbar. Daher zeitigte das vernichtende Urteil kaum Wirkung – und dies verwundert nicht, denn Beton ist ein Allroundtalent: Er kann nahezu jede Gestalt annehmen, lässt sich formen, spritzen und gießen. Beton ist stabiler als Ton oder Gips und lässt sich durch Zusatz von zementechten Pigmenten bereits in der Trockenmasse färben oder nach dem Aushärten farbig fassen. Auch das Experiment findet in Beton einen idealen Partner: Die Masse kann z.B. mit farbigem Glas oder Metallstückchen versetzt werden und ermöglicht so unerwartete Effekte.
Zahllose Beispiele in der Kunst- und Architekturgeschichte zeugen von den besonderen Qualitäten des Betons: Von Gaudís Sagrada Família zum „béton brut“ Le Corbusiers, vom Emailgarten Dubuffets in Otterloo bis hin zu Saint-Phalles Giardino dei Tarocchi in der Toskana und den architektonischen Skulpturen Kiecols – es ist die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten, die Beton zu einem faszinierenden künstlerischen Material macht.
Schon im alten Rom war mit dem Opus caementitium eine betonähnliche Mischung aus Pozzolanerde, Kalk, Stein- und Ziegelsplittern und Wasser bekannt. Das Material diente nicht nur für Wasserleitungen und Aquädukte, sondern ermöglichte auch den Bau der Pantheon-Kuppel. Bereits im 18. Jahrhundert in Standardwerken zur Baukunst beschrieben, begann „der eigentliche Siegeszug des Materials […] in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, als Zement industriell aus gebranntem Kalk hergestellt werden konnte (Portland-Cement).“ Schnell wurde der Werkstoff auch für die Kunst entdeckt. Auf der Pariser Weltausstellung von 1867 erregte eine aus Zement gegossene Büste der Juno großes Aufsehen. Um 1900 schließlich „wurde die täuschende Naturähnlichkeit des Kunststeins, aus dem Figuren, Baukeramik und Grabsteine hergestellt wurden, enthusiastisch gefeiert“, und das besonders druckfeste Material übt seither eine stete Faszination nicht nur auf Ingenieure und Architekten, sondern auch auf Künstler aus.
Heute wird Beton vor allem mit der jüngeren Geschichte und den gegenwärtigen Lebenswelten in Verbindung gebracht. Aus dem seit der Nachkriegszeit unverzichtbaren Werkstoff – der leider in der Folge auch zu mancherlei Bausünden führte – ist längst ein Synonym für zeitgenössische Ästhetik geworden: in Kunst und Innenarchitektur als prominenter Begleiter starker, ungemischter Farben, aber auch großformatiger Zeichnungen und Skulpturen – nicht umsonst ist Beton auch bevorzugt im Museums- und Ausstellungsbereich zu finden. In aktuellen Interieurs harmonieren modernes Mobiliar und Gebrauchsgegenstände mit Beton, oder Tische, Lampen und Wohnaccessoires sind direkt selbst daraus hergestellt. Durch seine Haltbar- und Witterungsbeständigkeit ist Beton insbesondere für den Außenbereich von Bedeutung.
Die für die künstlerische Praxis einsetzbaren, modernen Werkstoffe wie Modelliermörtel, Leichtbeton und Gießbeton sind die Antwort auf dieses reiche Spektrum an Einsatzmöglichkeiten. Die schnelle und einfache Verarbeitung und die Wahl zwischen rauer oder fein geglätteter Anmutung machen den Beton zu einem attraktiven Medium für die künstlerische Anwendung.
Seinen Auftritt par excellence hat Beton natürlich im plastischen Bereich, denn er erlaubt die Realisierung nahezu aller Formideen und Formate. Mit Polystyrol-Zuschlägen versetzter Leichtmörtel bietet sich durch sein deutlich geringeres Gewicht vor allem zum Unter- und Aufbau eines Bildwerks an, Modelliermörtel ist der Werkstoff der Wahl zur Ausmodellierung und Gestaltung der Oberflächen. Für den Einstieg und die ersten Erfahrungen mit Beton empfiehlt es sich, mit der Realisierung eines kleineren Objekts zu beginnen. Die Betonmasse lässt sich zwar problemlos frei mit der Hand formen, doch ist auch für kleinere freistehende Bildwerke eine Unterkonstruktion zweckmäßig, für die sich in jedem Atelier mit Holz- und Drahtresten die geeigneten Materialien finden.
Für die richtige Konsistenz der Betonmischung ist Fingerspitzengefühl und Erfahrung gefragt: Die Masse sollte so fest sein, dass sie sich zum Aufbau eignet, gleichzeitig noch elastisch, aber nicht mehr fließend. Der glatt mit Wasser angerührte Modelliermörtel sollte gut mit der Hand oder entsprechenden Werkzeugen verstreichbar und gleichzeitig auch in kleineren Details formbar sein. Daher sollten zunächst kleine Mengen mit Wasser angerührt werden, um ein Gespür für die Verarbeitungseigenschaften und den Abbindeprozess zu bekommen. Dieser hängt nicht zuletzt von der Raumtemperatur und der Größe des Objekts ab, lässt jedoch genug Zeit, um das Werkstück ausmodellieren zu können.
Bei größeren Objekten ist eine gut durchdachte Unterkonstruktion notwendig – und schon an dieser Stelle gilt es, ggf. anhand vorbereitender Skizzen das Volumen im Voraus einzuschätzen. Hier stellt sich bei der Verwendung von Beton auch immer die Frage des Gewichts: Je voluminöser die Unterkonstruktion, desto weniger Material wird benötigt. Beim hier gezeigten Beispiel besteht die Unterkonstruktion aus vollverzinktem Sechseckgeflecht, das auf einem Sockel verankert wird. Die Vorzüge dieses Drahtgewebes liegen auf der Hand: Es lässt auch größere Volumina mit geringem Eigengewicht entstehen, lässt sich formen und biegen und so die Formgebung der geplanten Plastik vorwegnehmen. Das Drahtgeflecht sollte ggf. mithilfe von Drahtstiften fest auf dem Sockel verankert und bereits in sich stabil sein. Um dem Beton Halt zu geben, ein Einsickern zu vermeiden und somit den Materialverbrauch zu reduzieren, wird die Drahtkonstruktion hier anschließend mit gewässerten Gipsbinden belegt. Alternativ kann das Drahtgeflecht fest mit Zeitungspapier o.Ä. ausgestopft werden, was nicht zuletzt für zusätzliche Stabilität sorgt. Sollten bei größeren, glatten Flächen Probleme der Haftung von Beton auf Gips befürchtet werden, leistet z.B. auch ein Styropor-Kern gute Dienste. Auf ein solches Gerüst wird – je nach Größe und Form – der Beton ggf. schichtweise modelliert, um ein Abrutschen zu verhindern.
Insbesondere die feine Nuancierung zwischen rauen und glatten Flächen macht den Charme eines Objektes aus Beton aus. Nach dem Aushärten, das je nach Dicke des Betons und abhängig von der Raumtemperatur zwischen mehreren Stunden und Tagen dauert, kann das entsprechende Finish beginnen: Der künstliche Stein kann gefeilt und mit Sandpapier geglättet werden. Bei der abschließenden Oberflächenbehandlung sind der Kreativität kaum Grenzen gesetzt: Das Objekt kann z.B. gewachst, mit Blattmetall belegt oder farbig gestaltet werden: Hierfür eignen sich – nach einer Vorbehandlung mit Tiefgrund – alkalibeständige Acrylfarben. Es lohnt sich, den Werkstoff zu erproben, denn auch im 21. Jahrhundert ist Beton ein ideales Material für vielseitiges künstlerisches Schaffen.
* (hierzu und zum Folgenden ausführlich M. Wagner et. al. (Hrsg.), Lexikon des künstlerischen Materials, München ²2010; S. 36ff.)
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