Pastelle von Rosalba Carriera in Dresden
Die junge Dame aus dem vornehmen venezianischen Hause Barbarigo ist sich ihrer Attraktivität bewusst: Wie sie da, leicht von oben herab, uns zulächelt, die schneeige Haut in Dekolleté und Gesicht betont durch schimmernden Perlenschmuck, die frisch aufgebürsteten Locken silhouettiert gegen den hellen Schein wie eine Glorie hinter den Kopf, den Hut fast waghalsig (rutscht er nicht gleich herunter?) auf dem Kopf.
Die leuchtend weiße Pracht von Inkarnat und Perlen ist überdies mit dem metallischen Blau des Kleides und dem Rot der absichtsvoll-zufällig flatternden Schleife zum effektvollen Farbakkord vereint, voller Spannung und doch in Harmonie – das ganze Arrangement eine einzige Inszenierung der Dargestellten für das Publikum einer bildersüchtigen Zeit. Genauer, das Kunstwerk ist das Abbild einer solchen Inszenierung – und wiederholt sie gleichzeitig. Die sorgfältig nachlässige Aufrüschung der Schönen, zusammen mit der verblüffenden Unmittelbarkeit ihres Blickes, dem zur bloßen Andeutung eines Lächelns verzogenen Mund, das alles schlägt, so scheint es, mühelos die Brücke in unsere Gegenwart – aus dem ach so fernen 18. Jahrhundert, dem Europa der Zeit vor dem Epochenbruch der Revolution, deren Verwerfungen den Kontinent erschütterten.
Es handelt sich hier um das typische Werk einer Künstlerin, die damals ein veritabler Star war: Rosalba Carriera. Die Gemäldegalerie Alter Meister in Dresden besitzt das weltweit größte Konvolut ihrer Arbeiten und widmet ihr nun, anlässlich des 350. Geburtstages, eine großangelegte monografische Schau. „Elegante Begegnungen. Rosalba Carriera – Perfektion in Pastell“ ist nun gewiss keine Neuentdeckung, im Gegenteil, nicht nur in Dresden gehören ihre Werke zum vertrauten Bestand vieler Museen (und so mancher Residenz). Was aber die Schau der Gemäldegalerie an der Elbe wirklich bemerkenswert macht, ist neben dem Umfang – über 100 Exponate werden gezeigt – vor allem die Tatsache, dass das Schaffen der Künstlerin so aussagekräftig in den Kontext ihrer Zeit eingeordnet wird, wie man das wohl noch nie gesehen hat.
Rosalba Carriera wurde 1675 in Venedig geboren, wo sie 1757 auch starb. Die Lagunenstadt war in dieser Epoche ein lebendig pulsierendes Kunstzentrum. Die subtilen Lichtwirkungen der wassergesättigten Atmosphäre ließen dort eine Kunst entstehen, die in ihren Farbeffekten flüssiger, ja duftiger war als anderswo, wo man mehr das solide zeichnerische Gerüst schätzte. Und noch in anderer Hinsicht war Venedig besonders: Die schon früh von ihrem Vater Andrea geförderte angehende Künstlerin wurde Schülerin von Giuseppe Diamantini, dann folgte ein Studium beim angesehenen Antonio Balestra. Waren die beiden Lehrer auf großformatige, vielfigurige Szenen in Öl spezialisiert, widmete sich die dann selbstständig tätige junge Carriera zunächst der Miniaturmalerei. Das war möglicherweise eine Konzession an die verbreitete öffentliche Wahrnehmung, dass einer Frau diese intimste Form des Porträts wohl eher angemessen sei als die kräftezehrende Ausmalung von Decken in Kirchen und Palazzi. Aber den entscheidenden Schritt weiter tat Carriera, als sie, etwa um 1703, sich dem Pastell zuwandte, einer Technik, in der sie zur gefeierten Meisterin wurde.
Pastell: In der Dresdner Ausstellung entfaltet sich der ganze Reiz dieser Technik, welche die Qualitäten der Zeichnung mit denen der Malerei verbindet: Dabei werden reine Pigmente, angeteigt und dann zu Kreiden gepresst, auf den (notwendigerweise rauen) Malgrund aufgetragen, der Papier oder Leinwand sein kann. Die Farben können anschließend mit dem Finger, dem Lappen oder den Estompes verwischt werden, speziellen Papierstäbchen (weil man damit auch einem etwas nüchternen Ausgangsprodukt leicht zu etwas Pep verhelfen kann, sind diese im Jargon auch frech als „Schummelnudel“ bekannt). Das Wischen ist nötig, da man die Pastellfarben selbst ja nicht mischen kann, weswegen ein richtig schöner Pastellfarbkasten gut und gerne mal 200 verschiedene Töne enthält, also weit mehr als üblich bei Öl- oder Aquarellfarben. Die so bewirkten weichen Verläufe, bis hin zum völligen Verschwimmen der Farbgrenzen, sorgen für atmosphärische Wirkung, sie schmeicheln dem Sujet. Das Fehlen der ja sonst unumgänglichen Bindemittel der anderen Farbsysteme bedingt die ausgeprägte Empfindlichkeit des fertigen Pastells. Das lässt sich freilich durch den Einsatz von Fixativen ein wenig mildern, allerdings droht so die Beeinträchtigung des unvergleichlichen Schimmers, der ja gerade den Reiz der Pastellmalerei ausmacht.
Aber zurück ins 18. Jahrhundert: Rosalba Carriera kann, ganz ohne Schummeln, die Möglichkeiten der heiklen Technik nutzen, ihre Ausdrucksmöglichkeiten auf die Spitze treiben. Tatsächlich trug sie dazu beim, das Pastell erst so richtig beliebt zu machen. Die pudrigen Farben verkörperten ideal den Geschmack des Rokoko, ihre Kostbarkeit eignete sich, wie wir schon sahen, ideal dafür, den Schimmer edler Stoffe und zarten Teints zur Wirkung zu bringen. Carrieras Pastellkunst konnte aber nicht nur Luxus: die porzellanene Zerbrechlichkeit, die sie den Porträtierten verlieh, entsprach ebenso auch dem Zeitalter der Empfindsamkeit, in dem ein förmlicher Kult der Emotionen betrieben wurde (die Mode der Briefromane!). Die Künstlerin, die so wunderbar Mode zum Leuchten bringen konnte. E, kam selber in Mode: Die römische Accademia di S. Luca ernannte die Künstlerin 1705 zum Mitglied, eine Reise nach Paris in den 1720ern wurde zum kommerziell erfolgreichen Triumphzug. Der Dauphin, der nachmalige Ludwig XV. höchstselbst, beehrte sie mit einem Porträtauftrag. Kollegen, darunter der große Watteau, standen förmlich Schlange, mit ihr Bilder zu tauschen. Weitere Stationen in Modena und Wien (1728–30) brachten neue Triumphe. Die sächsischen Herrscher versammelten in einem eigens eingerichteten Pastellkabinett über hundert Arbeiten Carrieras – die davon noch erhaltenen 73 bilden den Kern der heutigen Ausstellung.
Der Glanz aber, so strahlend er war, verging: 1746 musste die Künstlerin wegen eines unheilbaren Augenleidens ihr Schaffen beenden. Aber schon zuvor hatte sie die dunklere Seite des Lebens in den Blick zu nehmen gewagt: Auf dem Selbstbildnis als Winter umrahmen Hermelinkragen und -mütze ein alterndes Gesicht, dessen Züge keineswegs das Schönheitsideal der Epoche bedienen: fester, selbstbewusster Blick und unübersehbar resignierte Züge. Die Duftigkeit der Malerei vermag die leise Trauer nicht mehr zu überstrahlen … Carriera, die nie geheiratet hat, lebte mit ihren Schwestern. Der Tod 1737 der einen von ihnen, Giovanna, wie auch das Nachlassen der Sehkraft, verdüsterte ihr Gemüt: Die „dunkelste schwärzeste Nacht“, von der sie selbst in diesen Jahren spricht, war wortwörtlich und metaphorisch zugleich. Allerdings war ihr von der Kunstgeschichte kolportierter „Wahnsinn“ der letzten Lebensjahre wohl eine Erfindung. Die Dresdner Ausstellung wirft neues Licht auf diese bemerkenswerte Künstlerin – und auch auf die (schwierigen) Bedingungen, unter denen sich weibliche Künstlerschaft damals behaupten musste. Eine ergänzende Kabinettausstellung unter dem Titel Aus dem Schatten. Künstlerinnen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert vertieft das Thema. Perfektion in Pastell ist beeindruckend. Und es wäre gar nicht nötig gewesen, die große Künstlerin Carriera im Werbetrailer der Ausstellung im anbiedernden Duzmodus nur mit Vornamen „Rosalba“ anzusprechen …
Auf einen Blick
Ausstellung: Rosalba Carriera – Perfektion in Pastell
Ort: Semperbau am Zwinger, Theaterplatz 1, 01067 Dresden
Dauer: Bis 24. September 2023
Öffnungszeiten: Täglich 10.00–18.00 Uhr, Montag geschlossen
Internet: www.skd.museum
Ausstellung: Aus dem Schatten. Künstlerinnen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert
Ort: Zwinger, Theaterplatz 1, 01067 Dresden
Dauer: Bis 20. August 2023
Öffnungszeiten: Täglich 10.00–18.00 Uhr, Montag geschlossen
Internet: www.skd.museum