Johannes Vermeer im Rijksmuseum Amsterdam
So viel Vermeer war nie: Zum ersten Mal sind 28 Werke des Delfter Meisters an einem Ort zu sehen. Die Gemälde sind aus der ganzen Welt – von den USA bis Japan – gekommen, um gemeinsam in der Ausstellung „Vermeer“ im Amsterdamer Rijksmuseum als Schau der Superlative präsentiert zu werden. Viele der Exponate sind seit über 200 Jahren erstmals wieder in den Niederlanden, so zum Beispiel Leihgaben aus der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden, der Gemäldegalerie Berlin und der Frick Collection in New York.
Mit knapp drei Vierteln aller bekannten Werke fokussiert die Ausstellung auf Leben und Werk des Künstlers, seine Ambitionen, seinen Glauben und seine Lebenswelt. In der langjährigen Vorbereitungszeit haben die Experten des Rijksmuseums zusammen mit den Fachleuten des Mauritshuis in Den Haag (das auch sein Mädchen mit dem Perlenohrgehänge nach Amsterdam schickte) umfangreiche Forschungen unternommen. Schon wenige Tage nach der Eröffnung Mitte Februar seien die Eintritts-Tickets für die Laufzeit der Ausstellung ausverkauft gewesen, ließ das renommierte Haus verlauten.
Bis heute werden 37 Gemälde mit dem Namen Johannes Vermeer verbunden, der als einer der bedeutendsten Künstler des „Goldenen Zeitalters“ der niederländischen Malerei gilt. Vor allem seine besinnlichen, häuslichen Szenen in kleinem Format, in klaren, hellen Farben gemalt und von harmonischen Lichteffekten bestimmt, begründen seinen Ruhm. Vermeers Schaffen fiel in eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit: Die Städte waren wichtige Wirtschaftszentren, Handel und Gewerbe begründeten bürgerlichen Wohlstand und prosperierende Städte. Bankiers, Kaufleute, Reeder und Gewerbetreibende waren Auftraggeber und Förderer der Künste, der Kunsthandel blühte. Die große Nachfrage bedingte künstlerische Differenzierung, und so entwickelte sich die sogenannte Fachmalerei: Die Kunstschaffenden spezialisierten sich auf Landschafts- oder Genreszenen, Porträts, Interieurs oder Stillleben. Delft war bis zum 17. Jahrhundert eine der wichtigsten und ältesten Städte der Grafschaft Holland, Stützpunkt des Handels und kultureller und wissenschaftlicher Mittelpunkt. Hier wurde Johannes Vermeer im Oktober 1632 als Sohn eines Gastwirts und Kunsthändlers in Delft geboren; hier verstarb er im Winter 1675 im Alter von nur 43 Jahren.
Außer seinen Gemälden hat Johannes Vermeer nur vergleichsweise wenige Spuren seines Lebens hinterlassen – dies trug ihm den Beinamen „Sphinx von Delft“ ein. Belege für Werdegang und Ausbildung sind kaum bekannt. 1653 heiratete der protestantisch getaufte Vermeer die Katholikin Catharina Bolnes und könnte aus diesem Anlass zum katholischen Glauben konvertiert sein. Das Paar bekam 15 Kinder, von denen vier früh verstarben. Ebenfalls 1653 fand der Künstler Aufnahme in die Lukas-Gilde – dies war die Grundbedingung, um den Malerberuf selbstständig ausüben zu dürfen. Stolz signierte er fast immer seine Bilder, doch nur die wenigsten sind von ihm datiert. Während sich Vermeers Ruf als Maler festigte, stand er zweimal der Malergilde vor, und 1672 wurde er als Kunstsachverständiger nach Den Haag berufen. Doch insgesamt gesehen scheint er sehr langsam und nur für einen kleinen Kreis von Auftraggebern gearbeitet zu haben, und viele seiner Bilder waren bei seinem Tod noch im Familienbesitz. Aufgrund großer Schulden erklärte sich seine Witwe danach als zahlungsunfähig – daraufhin wurden diese Werke beschlagnahmt und anschließend versteigert. Johannes Vermeer geriet in Vergessenheit, bis er und seine Werke im 19. Jahrhundert wiederentdeckt wurden.
Vermeers bevorzugtes Sujet waren vornehme, bürgerliche Interieurs, belebt oft nur durch eine oder zwei Personen. Seine nuancierten Beobachtungen stiller Momente, die ausgewogene Komposition und die harmonische Behandlung des Lichts schaffen dabei eine besondere Intimität des Augenblicks. Seine wohl bekanntesten Werke dürften sein Mädchen mit dem Perlenohrgehänge, die Magd mit dem Milchkrug und die Briefleserin in Blau sein; die Ansicht von Delft und Die kleine Straße gelten als seine einzigen Stadtansichten.
Bevorzugt stellte Vermeer Frauen dar, doch diese sitzen ihm nicht reglos Modell in kostbaren Roben. Sie entspringen vielmehr genauer Beobachtung und gleichzeitig der Vorstellungskraft des Künstlers und gehen alltäglichen Tätigkeiten nach, wie etwa die Magd mit dem Milchkrug oder Die Spitzenklöpplerin. Vermeers Frauen lesen oder schreiben Briefe, die ihrerseits Geschichten erzählen, Geheimnisse bergen oder von der Welt und der Liebe berichten. Häufig sind Musikinstrumente ihre Begleiter: Sie musizieren am Virginal oder spielen Gitarre, manchmal wartet im Bild auch eine Viola da Gamba auf ihren Einsatz. Für Vermeer ist weniger immer mehr: Hin und wieder – das haben Untersuchungen oder Restaurierungen ergeben – hat er zusätzliche Menschen in seinen Bildern oder sinnstiftende Ausstattungsstücke seiner Interieurs übermalt, um die Stille der Szenen und das besondere Licht als eigentliche Protagonisten zu feiern. Seine „Tronies“ – Charakterstudien, zu denen auch das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge zählen mag – konzentrieren sich auf die Physiognomie, auf Schönheit, Ausstrahlung und Accessoires.
Sind in den häuslichen Szenen Vertreter des männlichen Geschlechts anwesend, so machen die Herren zumeist den Damen ihre Aufwartung, lauschen ihrer Musik, bringen sie zum Lächeln oder dazu, ein Glas Wein zu genießen. Häufig jedoch sind sie nur im übertragenen Sinne präsent – als Verfasser der Briefe, deren Zeilen die Aufmerksamkeit fesseln. Nur zwei Werke, offenbar noch dazu zusammengehörige Pendants gleicher Größe und gleichen Formats, zeigen jeweils einen Mann: Der Geograph mit Erdglobus und Zirkel und Der Astronom mit Himmelsglobus und Astrolabium studieren die Erde und den Himmel – und scheinbar alles dazwischen.
Während der Vorbereitung der Ausstellung untersuchte ein Team aus Kuratoren, Restauratoren und Wissenschaftlern in enger Zusammenarbeit mit dem Mauritshuis und der Universität Antwerpen die Werke Vermeers mit hochspezialisierter Technologie. Diese Untersuchungen, deren Ergebnisse in Ausstellung und Publikationen einflossen, versprechen neues Licht auf die Ausbildung und Malweise des Meisters, aber auch auf seine Lebensführung und die Ausbildung seiner Kinder.
Die Vermeer-Ausstellung in Amsterdam ist bis zum 4. Juni 2023 zu sehen. Aufgrund des großen Publikumsinteresses öffnet das Rijksmuseum donnerstags bis samstags auch abends bis 22.00 Uhr seine Türen für Besucher*innen.
Wer sich auf den Besuch vorbereiten oder von zu Hause einen Einblick in dieses Ausstellungs-Highlight gewinnen möchte, dem sei zu einem besonderen Service des Rijksmuseums geraten: Im Video „Closer to Johannes Vermeer“ geht der britische Schauspieler Stephen Fry auf eine überaus sehenswerte Entdeckungsreise in die Welt Vermeers und seiner Bilder.
Auf einen Blick
Bis 4. Juni 2023
Vermeer
Publikationen
Vermeer
Peter Roelofs & Gregor J.M. Weber (Hrsg.), geb., dt., 320 S. mit zahlr. Farb abb., 26,5 x 21,5 cm, Belser, ISBN 97832763029044
Johannes Vermeer
Faith, Light and Reflection
Gregor J. Weber, Paperback, engl. 168 S. mit 80 Farbabb., Nai 010, ISBN 9789462087583
Kontakt
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1071 XX Amsterdam
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