Ausstellung

Licht und Farben Afrikas

Ruth Baumgarte in der Albertina Wien

„Die Länder Afrikas und seine Völker waren für sie keine Modelle, die es auf der Leinwand festzuhalten galt, sondern ein integraler Bestandteil ihrer Lebensreise.“ Dies sagte der simbabwische Dichter Chirikure Chirikure über die deutsche Malerin Ruth Baumgarte (1923–2013), die seit den 1950er-Jahren bis ins hohe Alter über vierzig Mal nach Afrika reiste. Sie beobachtete die Menschen, fühlte sich empathisch in sie ein, interessierte sich für die fremden Kulturen eines damals für europäische Kunstschaffende noch weitgehend unerschlossenen Kontinents. Bis zum 3. März 2023 zeigt nun die Albertina in Wien mit der Schau „Ruth Baumgarte. Africa: Visions of Light and Colour“ den umfassenden Werkkorpus dieser wichtigen Künstlerinnenposition des 20. Jahrhunderts. Die insgesamt rund 70 Ölgemälde, Aquarelle und Grafiken entfalten bei ihrer Betrachtung eine besondere Magie. Ihnen zugrunde liegen Reisen der Künstlerin in afrikanische Länder wie Ägypten, Südafrika, Kenia, Tansania, Uganda, Äthiopien, Sudan und Simbabwe.

Geboren 1923 in Coburg, wuchs Ruth Baumgarte in Berlin auf. Seit 1940 erhielt sie dort Zeichenunterricht an der Privaten Kunstschule des Westens in Berlin, bevor sie von 1941 bis 1944 Malerei und freie Grafik an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Berlin bei Gerhard Ulrich, Wilhelm Tank, Kurt Wehlte, Carl Michel und Hermann Franzke studierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der daraus resultierenden Evakuierung der Hochschule nach Thüringen übersiedelte sie nach Bielefeld und arbeitete freischaffend als Malerin und Grafikerin. Zwischen 1949 und 1953 zeichnete sie zudem für die Bielefelder Freie Presse, arbeitete als Buchillustratorin und heiratete 1952 den Industriellen Hans Baumgarte. Im Frühjahr 2012 gründete die Künstlerin die Kunststiftung Ruth Baumgarte zur Förderung und Verwaltung ihres künstlerischen Lebenswerks. Seit 2014 vergibt die Stiftung den Kunstpreis Ruth Baumgarte an eine*n gegenständlich arbeitende*n Künstler*in. Ruth Baumgarte verstarb 2013 in Bielefeld.

Zentral für das Verständnis ihrer Kunst ist das Verhältnis von Mensch und Natur, die Verschmelzung von Figur und Landschaft. Auf Basis schneller Skizzen, die sie vor Ort anfertigte, schuf sie später – wieder zu Hause in ihrem Atelier in Deutschland – farbintensive Gemälde, virtuose Aquarelle, ausdrucksstarke Gouachen und Zeichnungen. Ruth Baumgarte hat ihre Afrikabilder zu einem Zeitpunkt angefertigt, als Fragen nach künstlerischer Aneignung und kultureller Enteignung noch längst nicht so breit diskutiert wurden wie heute im Zeitalter postkolonialer Diskurse. Trotzdem erkannte sie intuitiv, dass politische Asymmetrien, die sich als Culture Clash manifestieren, nicht in oberflächlicher Harmonie aufgelöst werden können, sondern in spannungsgeladenen Farbkompositionen gestalterisch problematisiert werden sollten. So entstand ein koloristischer Kosmos, der, ausgehend von flammenden Rottönen und sattem Orange-Ocker über Gelb, Rosa und Violett zu entschiedenen Violett-Blau-Tönen in die Tiefe verfließt. Das sehr spezielle Licht der afrikanischen Landschaften findet auf diese Weise malerischen Ausdruck, während die Auflösung der Formen und eine Allegorisierung der Motive vom Unbehagen der Künstlerin beim Erleben eines Kontinents zwischen Aufbruch und weiter bestehender Ungleichheit künden.

Ein Künstlerinnenleben lang machte es sich Ruth Baumgarte zur Aufgabe, die eigene Wahrnehmung zu erforschen und hinterfragte den kolonialen Blick nach der Aneignung des anderen. Stets näherte sie sich einer unbekannten Kultur sensibel an, um sie intuitiv zu verstehen. Nicht nur kognitiv rational, sondern mit den Mitteln der Kunst: Pinsel und Farbe wurden zu ihren Verbündeten in der Erkundung von anderen Lebensanschauungen und prekären Lebensbedingungen. Das humanistisch geprägte Œuvre zeichnet sich durch große künstlerische Empathie aus.

Die Darstellung der afrikanischen Frau in ihrem Lebensumfeld nimmt bei Baumgarte einen breiten Raum ein. Selbst wenn die Künstlerin Personen im Sinne einer spezifischen Identität oder Zugehörigkeit zu einer Klasse oder einem Geschlecht zeigte, beschrieb sie das Individuum in seiner Einzigartigkeit letztendlich immer als Teil einer Gemeinschaft. Ruth Baumgarte strebte weder eine Exotisierung an noch bediente sie sich einer Rhetorik der Überlegenheit, mit der ehemalige Kolonialmächte gerne die alten Herrschafts- und Dominanzverhältnisse zu perpetuieren trachteten. Stattdessen steht sie ein für eine dialektische Kunst, die Spannungsverhältnisse etwa zwischen Urbanität und Wildnis, zwischen dem Einzelnen und dem Kollektiv, zwischen alltäglicher Banalität und magisch-surrealen Gegenwelten ästhetisch zu transzendieren imstande ist.

Durch einen fließenden Austausch von impressionistischen und expressionistischen Gesten wird die Vermischung der Kulturen, die Verschmelzung des anderen mit dem Eigenen anschaulich gemacht. Frei nach einem Diktum des französischen Kulturtheoretikers Edouard Glissant, der gesagt hat: „Keine Kultur ist heute isoliert von der anderen. Es gibt keine reinen Kulturen, das wäre lächerlich. Die Spur des Lebens wird nicht durch das Identische gelegt, sondern durch das Verschiedene. Das Gleiche produziert: nichts.“

In die monografische Präsentation der Künstlerin, die von der Direktorin der Albertina Modern Angela Stief kuratiert ist, werden Werke des südafrikanischen Künstlers Athi-Patra Ruga eingeflochten, der den diesjährigen Preis der Ruth Baumgarte Stiftung in der Nachfolge von Kunstschaffenden wie William Kentridge, Michael Armitage, Nan Goldin, Mona Hatoum u.a. erhält. Ruga, der 1984 in Umata (Südafrika) geboren wurde und zwischen Johannesburg und Kapstadt lebt, verfolgt in seinem multimedialen Werk eine Hybridisierung von Formen und Inhalten. Seine visuelle Bildsprache zwischen Utopie und Realität löst geografische Grenzen, geschlechtliche Zuschreibungen und soziale Konstruktionen der afrikanischen Geschichte sowie eines dogmatisch eingesetzten postkolonialen Wissens spielerisch auf. Die Amalgamierung von unterschiedlichen kulturellen Einflüssen macht er zum Konzept einer Kunst, die sich ungehemmt zahlreicher Referenzen bedient und keine Scheu vor Aneignung hat.

Der Dialog mit ausgewählten Werken, Gemälden, Tapisserien und Glasarbeiten von Athi-Patra Ruga verankert Ruth Baumgartes Œuvre in der Gegenwart und zeugt zudem von der Aktualität ihrer Kunst. Die erstaunlichen Analogien der Arbeiten der beiden Kunstschaffenden schlagen eine Brücke über Gräben und attestieren ein kulturübergreifendes Verständnis.

 


Auf einen Blick

Ausstellung: „Ruth Baumgarte Africa: Visions of Light and Colour“

Bis 5. März 2023

Albertina
Albertinaplatz 1
1010 Wien

Website: https://www.albertina.at/ausstellungen/ruth-baumgarte/

 

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Profile

1776 gründete Herzog Albert von Sachsen-Teschen eine Grafiksammlung, die zusammen mit dem sie beherbergenden Palais 1919 als Museum für die Kunst von der Renaissance bis zur Gegenwart verstaatlicht wurde.

Die ALBERTINA ist heute bewusst als janusköpfiges Haus positioniert: Auf der einen Seite repräsentieren die renovierten und wieder mit Originalmöbeln ausgestatteten Prunkräume den fürstlichen Wohnstil der ehemaligen Habsburgerresidenz. Andererseits ist die ALBERTINA mit ihren großen Wechselausstellungen wie mit ihrer Dauerausstellung – Malerei der Moderne und der Gegenwart – ein modernes Museum.

© Albertina, Wien (Foto: Alexander Ch. Wulz)

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