Ausstellung

Konkurrenz und Konvergenz

Malerei aus den USA und der UdSSR 1960–1990

Weltausstellung 1967 in Montreal: Im gewaltigen Glasdom des US-amerikanischen Pavillons schwebt majestätisch an drei geblähten, rotweiß gestreiften Fallschirmen die Apollo-Raumkapsel ein zur Landung. Der Weg zum ultimativen Triumph des freien Westens in der Epoche des kalten Krieges, der Mondlandung zwei Jahre später, ist frei. Lowell Nesbitt wird zum offiziell bestallten Hofmaler der NASA und bringt Command Module, Lunar Module und, das ultimative phallische Symbol, die Saturn-Trägerraketen auf gewaltigen farbintensiven Leinwänden in Stellung. Bruder im Pathos, erstrahlt bei Eric Bulatov überdimensional das Staatswappen der UdSSR im Gegenlicht über dem Meer vor dramatisch geschichteten Wolkenbänken bei Sonnenaufgang. Oder halt, ist es nicht doch der Sonnenuntergang? Apotheose der Mondlandung oder gülden leuchtendes Wappen: Der US-Amerikaner Nesbitt oder der Sowjetbürger Bulatov, wer von den beiden ist denn hier der glorreiche „freie Künstler“ und wer ist der ach so schmähliche „Staatsmaler“? Diese Gegenüberstellung, die ganz offenkundig die uns gewöhnlich quasi reflexhaft auf der Zunge liegenden Zuschreibungen unmöglich macht, führt zum zentralen Anliegen einer bemerkenswerten Ausstellung: „The Cool and the Cold“ im Berliner Gropius-Bau. Es geht um die Malerei aus den USA und der UdSSR 1960–1990.

Der Kalte Krieg

Die Zeit des Kalten Krieges war bekanntlich eine Epoche der scharfen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Konfrontation. Die Künste spielten im Wettstreit der Mächte ihre Rolle – auf beiden Seiten. Und in der Tat, kaum ein besserer Ort wäre denkbar für die Erforschung der so entstandenen Kunst als der Gropius-Bau: Das Haus aus dem späten 19. Jahrhundert kam bei der Teilung der Stadt so scharf an der Sektorengrenze zu stehen (auf der westlichen Seite), dass sein Eingang beim Wiederaufbau um 1980 verlegt und dann (10 Jahre nach dem Mauerfall) wiederum an die ursprüngliche Stelle zurückverlegt wurde. Heute noch sind dort Reste der ehemaligen Grenzbefestigung zu sehen und das umso mehr, als der Wegfall von Sichtblenden die Ausstellungsräume im Erdgeschoss zur Umgebung hin öffnete. Sinnbildlich deutlicher könne man kaum zeigen, wie „politische Entscheidungen auf das kulturelle Leben einwirken“, so bringt es Gropius-Direktorin Stephanie Rosenthal auf den Punkt. Und fügt hinzu: „Im Zentrum unseres Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramms steht die sensible Auseinandersetzung mit den Narben unserer Geschichte und der Frage, wie Fürsorge, Reparatur und Heilung miteinander verbunden sind.“ Zu diesem Interessenprofil des Ausstellungshauses passt bei „The Cool and the Cold“ der Leihgeber, die Stiftung Ludwig. Deren üppiger Bestand an Werken vor allem der amerikanischen Pop Art ist weithin bekannt. Aber der Aachener Industrielle Peter Ludwig und seine Frau Irene gehörten weltweit zu den ersten Sammlern, die sich nicht nur für Kunst der westlichen Moderne interessierten, sondern auch, zu Zeiten des Kalten Krieges ein ungewöhnliches Engagement, für solche aus den Ländern des Ostblocks. Oftmals am Rande wirtschaftlicher Kontakte und mit erheblichem diplomatischem Geschick gelang es den Ludwigs, Kontakte zu knüpfen und eine beeindruckende Vielfalt von Werken zu erwerben. Repräsentative Künstler und weniger staatlich anerkannte Positionen: Der künstlerischen Qualität galt dabei stets das Augenmerk der Sammler, zugleich aber auch der Dimension von Kunst als historischem Dokument, als Beleg gesellschaftlicher und psychosozialer Befindlichkeiten. Das Kuratorenteam Benjamin Dodenhoff und Brigitte Franzen konnte also bei der nun präsentierten kritischen Gegenüberstellung von Werken aus beiden Lagern des Ost-West-Konflikts aus dem Vollen schöpfen. Die ursprüngliche Liste von bald 1000(!) Arbeiten aus dem Stiftungsbestand kochten sie für den Gropius-Bau herunter zu einer Auswahl von schließlich rund 125 Werken von 80 Künstlerinnen und Künstlern. Kunst entlang einer Zeitleiste von den späten 1950er- bis in die 1990er-Jahre aus den beiden macht- (und kultur-)politischen Zentren des Kalten Krieges, berühmte Meisterwerke und ebenso eher unbekannte: Die schon erwähnten Erik Bulatov und Lowell Nesbitt, aber auch Jackson Pollock, Rauschenberg, Warhol und Lichtenstein, Viktor Pivarov, Lee Kabakov und Natalja Nesterova.

Wie präsentiert man das? „Kein Schaulaufen der Superstars“ (beider Seiten), versichert Kurator Dodenhoff, vielmehr wolle man „die Dynamik der Sammlung in ihrer ganzen Bandbreite zeigen“ und dabei vor allem auch etwas zu erzählen „über die Systeme, unter denen diese Kunst entstand“. Die Kunst der beiden Systeme soll in den unmittelbaren Dialog kommen: „Wir arbeiten in der Ausstellung gern mit Bildpaaren und Querverbindungen über Sichtachsen“. Das geht natürlich nicht ganz ohne Komik ab, etwa beim Showdown zwischen Elvis Presley als Revolverheld (links) und Lenin in der Bibliothek (rechts). Andy Warhols Siebdruck (1964) und Dmitrij Nalbandjans Ölgemälde (1980/82) sind, nahezu formatgleich, lebensgroße Hochformate, die Heldenfiguren ihrer jeweiligen Systeme zeigen. Der Unterschied der Medien freilich, poppiges Reih und Raster vs. gediegene Ölmalerei, ist in gewisser Hinsicht irreführend. Denn keineswegs so ganz eindeutig stehen sich hier künstlerische Moderne und Vergangenheit gegenüber, sind doch beider Bildformeln gleichermaßen dem späten 19. Jahrhundert entnommen. Der Westerner mit dem Colt im Anschlag ist eine Figur der Eroberung des amerikanischen Westens zu genau der Zeit, als sich europäische Prominenz in vorhangdunklen Bibliotheken konterfeien ließ.

Nalbandjan greift bei seinem Lenin auf den akademischen Stil dieser Zeit zurück (Lenbachs Bismarck-Porträts!). Zwei Rollenporträts also, der Popsänger als Cowboy, der Revolutionsführer als bürgerlicher Gelehrter. Aber nun ein wesentlicher Unterschied. Wenn das sowjetische Bild mit dem Gestus einer einmaligen künstlerischen Leistung auftritt, die eine einmalige historische Situation der Begegnung zwischen Künstler und seinem Modell festhält, wissen wir, dass das ein Schwindel ist: Lenin hat dem Maler gar nicht Modell sitzen können, er war schon ein halbes Jahrhundert zuvor gestorben. Vorlage waren natürlich Fotografien, die ihrerseits unvermeidlich Inszenierungen sind. Und, der Nalbandjan’sche Lenin ist, ungeachtet malerischer Qualitäten, Teil ganzer Bataillone gemalter Lenins an allen öffentlichen Orten der Sowjetunion. Warhol dagegen nimmt den Wiederholungscharakter offensiv in sein Werk hinein. Die Rasterung als Reproduktionsmedium und auch im Titel: Denn diesem Single Elvis folgen Verdoppelungen und Verdreifachungen auf dem Fuße.

Medien und Emotionen

Der offene Umgang mit der medialen Vermittlung mag als Stärke Warhols und seiner US-amerikanischen Pop-Kollegen empfunden werden – oder auch nicht: Denn einerseits ist die massenmediale Bildproduktion ein Fakt moderner Gesellschaften, andererseits aber gibt es die zeitenübergreifende Realität menschlicher Emotionen. Und können wir unseren Schmerz tatsächlich wiederfinden in Roy Lichtensteins Hopeless und seiner offenkundigen Unwahrhaftigkeit bei der mehrfachen Wanderung des Motivs vom Foto über den Comic zur Malerei? Können wir etwa gerade in der Form, um nicht zu sagen der Maske, des Kitsches etwas leben, das wir uns „in echt“ gar nicht trauen würden? Oder ist ein Künstler wie Nikolaj Ovčinnikov nicht mutiger, wenn er uns konfrontiert mit dem intensiven, aber wortlosen Schauen der stummen Frau, die vor der grellen Parolenwand ihr Tier füttert, das uns gleichfalls unverwandt ansieht?

Aber, bei aller Lust an einer gelegentlich demonstrativen Dramaturgie – „die Besucher mit ihrer eigenen Erwartungshaltung (…) konfrontieren“, in den Worten des Kurators –, setzt die Ausstellung vor allem auf die Entwicklung der Kunst beider Seiten in diesen vier Jahrzehnten entlang gewisser Themenbereiche wie der menschlichen Befindlichkeit im Zeitalter der Technik, dem Verhältnis von Stadt und Land oder von Arbeit und Erholung. Parallel zur thematischen Entwicklung untersucht „The Cool and the Cold“ die sich wandelnde Beziehung von Abstraktion und Figuration: Von der anfangs strikten Orientierung des Westens hin zur Abstraktion (im Zeichen der Freiheit), des Ostens zur Gegenständlichkeit (im Zeichen der Verständlichkeit) zu einer Auflösung dieser festen Zuschreibungen auf beiden Seiten. Dennoch scheint ein Unterschied deutlich ausmachbar: Dass nämlich die Künstler der UdSSR stärker an ihren eigentlichen Inhalten, den erwähnten Gefühlslagen beispielsweise, interessiert waren, während die Kollegen im Westen tendenziell mehr zu einer Selbstreferentialität ihres Mediums neigten.

Von Warhol und Lichtenstein war in diesem Zusammenhang schon die Rede, aber auch bei einem scheinbar eindeutig „realistischen“ Ansatz wie bei den mit fotografischer Genauigkeit gemalten Werken der 1970er ist dies der vorherrschende Zug: Zwar gibt Ralph Goings seinen Wohnwagen auf das Penibelste wieder, vom Staub des Parkplatzes über die Reflexionen in der polierten Aluminiumhaut (inklusive der Verzerrungen aufgrund der leichten Wellen im Metall) bis zum azurblauen Himmel. Das könnte leicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es hier keineswegs mit gemalter Wirklichkeit zu tun haben, sondern mit einem Bild eines Bildes dieser Wirklichkeit: mit dem ewigen Mythos des sagenumwobenen Airstream-Trailers mit all seinen Versprechungen von Perfektion und Unabhängigkeit, um nicht zu sagen Unangreifbarkeit: Die Fotografie, auf die der Maler bei seiner Arbeit zurückgreift, ist eine von unendlich vielen – Filmbilder könnten noch an ihre Seite treten –, die allesamt mehr den Traum bedienen, als dass sie die Realität schilderten. Der Maler fügt der Verzauberung eine weitere Ebene hinzu, das macht die Wirkmacht dieser Gemälde aus. Eine indirekte Botschaft: Gilt das auch für Natalja Nesterova? Ihre Singenden, in ländlicher Szenerie scheinen naiv dem kollektiven Frohsinn zu frönen, wie man es von der sozialistischen Propaganda kannte.

Aber ist dieser lauthalse Gesang nicht einen Zacken zu viel, so dass die Fröhlichkeit ins Groteske, ja Maskenhaft erstarrte umschlägt? Und warum nur ist sind die Teller auf dem Esstisch leer? So sensibilisiert, öffnet sich möglicherweise auch bei den Kosmonauten von Jurij Korolev eine Hintertür: Der zukunftsgewisse Optimismus der Helden im strahlend-weißem Dress vor grellblauem Himmel demonstriert zum einen die Rolle der Raumfahrt, die das öffentliche Bewusstsein in der UdSSR noch weit stärker als in den USA prägte. Und doch wirkt die Versammlung wie ein Theaterstück, hinter dessen hellerleuchteter Bühne – nichts wartet. Aber egal, wie sagte es doch der Mission Commander von Lowells Apollo IX: „It‘s a hell of a ride!“ Das könnte man auch von dieser großartigen Schau sagen.


Auf einen Blick

Ausstellung: The Cool and the Cold. Malerei aus den USA und der UdSSR 1960–1990

Ort: Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin

Dauer: bis 9. Januar 2022

Internet: www.berlinerfestspiele.de/gropiusbau

Öffnungszeiten: Mi – Mo 10:00 bis 19:00 Uhr

Für den Besuch der Ausstellungen im Gropiusbau gilt 2G plus Maske. Der Besuch der Ausstellungen im Gropiusbau ist nur mit vollständigem Impfschutz oder dem Nachweis über den Genesenenstatus sowie dem Tragen einer medizinischen oder FFP2-Maske möglich. Der digital verifizierbare Nachweis (QR-Code digital oder ausgedruckt) und der Personalausweis werden im Eingangsbereich geprüft.

Tickets für den Besucht sind ausschließlich im Onlineshop erhältlich: https://tickets.kbb.eu/kbb.webshop/webticket/timeslot

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Profile

Der Gropius Bau gilt als eines der bedeutendsten Ausstellungshäuser in Europa. Mit vielbeachteten zeitgenössischen und archäologischen Ausstellungen hat der Gropius Bau immer wieder neue Erfahrungsräume eröffnet. Angesichts der bewegten Geschichte und der vielfältigen Institutionen, die im Laufe der Zeit hier aktiv waren, strukturiert sich der Gropius Bau als offener Rahmen für den Umgang mit verschiedensten künstlerischen Denkweisen und deren gesellschaftlichen Implikationen. Durch die aktive Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstler*innen am Programm werden kreative Prozesse offengelegt, neue Perspektiven erschlossen und die Möglichkeiten der Institution reflektiert.

[Foto: Christian Riis Ruggaber]

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