Zentrum Paul Klee Bern würdigt Max Bill
Nach den üblichen Zyklen des Produktdesigns sind gute 25 Jahre eine wirklich sehr lange Zeit: Tatsächlich ist es schon so lange her (1994), dass Max Bill starb. Das eigentlich Spannende ist hier aber nicht, dass einige seiner Entwürfe immer noch in Produktion sind, sondern dass der Schweizer Gestalter aktuell zum Vorbild für junge Gestalter geworden ist. Was macht Bill zu unserem Zeitgenossen?
Universale Prinzipien
Im Zentrum Paul Klee in Bern ist derzeit Gelegenheit, diese Frage zu beantworten. In einer Zeit wie der unseren, in der tausend Dinge manchmal ziemlich undurchschaubar zusammenzuhängen scheinen, mithin eindimensionale Patentrezepte offensichtlich unmöglich sind: Wie wäre es da, Anregung bei einem wie Max Bill zu suchen, der Designer war, Architekt, Grafiker, Typograf, aber auch Maler und Bildhauer, Theoretiker und Sammler, Kurator und Publizist, Lehrer und Politiker. Lauter Qualitäten und Kompetenzen, die nicht unverbunden nebeneinanderstehen, sondern ihre eigentümliche Energie erst entfalten durch innige Kreuz- und Quervernetzung. Die angewandte Gestaltung und die freie Kunst sind für Bill von gleicher Gewichtung: Dienen Architektur, Produktdesign und ähnliche Bereiche dazu, das konkrete, alltägliche Leben der Menschen zu erleichtern und zu verbessern, so sollen die freien Künste geistige Nahrung bieten. Das können sie aber nur, wenn sie nicht dem radikal subjektiven Ausdruckswunsch der Künstlerpersönlichkeit dienen – das alte Konzept des Genies –, sondern wenn ihre Äußerungen aus sich heraus logisch und nachvollziehbar sind. Die allgemein gültigen, etwa aus der Mathematik abgeleiteten, als harmonisch empfundenen Gestaltungsprinzipien können da als Muster dienen: Universalismus statt Individualismus.
Die beeindruckende Fülle seiner Arbeitsfelder bearbeitet Bill mit einer Energie und Ausdauer, die mitreißend wirkt: Sie entfalten sich am besten, verfolgt man die einzelnen Stationen dieser Biografie. Genau das tut die Ausstellung in Bern in sechs Kapiteln (und einem zusätzlichen Film Max Bill – das absolute Augenmaß). Der 1908 in Winterthur geborene Bill beginnt seine Ausbildung 1924 an der Kunstgewerbeschule in Zürich. Drei Jahre darauf der Wechsel nach Dessau, wo das Bauhaus mit seinem innovativen Konzept für Lehre und Praxis für Aufsehen gesorgt hatte. Die Lehrer des jungen Schweizers sind Josef Albers, Paul Klee und Oskar Schlemmer. Sie machen Bill bekannt mit dem Konzept der bildnerischen Abstraktion, vor allem in seiner geometrischen Gestalt. Zu nennen ist aber auch Wassily Kandinsky, dessen eigenes Schaffen zwar mehr ins Lyrische schlägt, der aber mit seiner Schrift Das Geistige in der Kunst den Studenten mächtig beeindruckt: Die Loslösung vom Gegenstand eröffnet unbegrenzte spirituelle Horizonte, viel weitere, als es ein allegorisch-symbolischer Ansatz könnte. Die mit zahlreichen Exponaten und Dokumenten reich bestückte Berner Schau unterbricht immer wieder ihre chronologische Erzählung, um in Exkursen auf besonders wichtige Begegnungen zu fokussieren: Der erste gilt denn auch gleich dem Namenspatron des Hauses, Paul Klee, von dessen künstlerischem Ansatz sich Bill zwar rasch wieder entfernt, der aber über seine Schriften – die damals unveröffentlichte Bildnerische Gestaltungslehre wäre hier vordringlich anzuführen – eine lang wirkende Faszination ausübt: Bill und Klee bleiben bis zu dessen Tod 1940 in kontinuierlichem Kontakt.
Die Ulmer Hochschule
Zwar verlässt Max Bill Dessau nach nur zwei Jahren (ohne Abschluss), um nach Zürich zurückzukehren, doch die Erfahrung des Bauhauses bleibt nachhaltig prägend: In den 1950er-Jahren wird Bill – er arbeitet hier zusammen mit Inge Scholl und Otl Aicher – Gründungsdirektor der Ulmer Hochschule für Gestaltung, die auf den Dessauer Ideen aufbaut. Die internationale Ausrichtung ist Programm. An die als zeitgemäße Nachfolge des Bauhauses gedachte Institution holt Bill ehemalige Bauhaus-Lehrer wie Josef Albers und Johannes Itten. Seine Rolle an der bald zum Begriff werdenden HfG Ulm beschränkt sich in nicht auf die planerische Funktion. Er entwirft zunächst einmal den campusartigen Gebäudekomplex der HfG am Stadtrand und auch prototypenhafte Möbel: Darunter der berühmt gewordenen Ulmer Hocker (1954, zusammen mit Hans Gugelot), ein Minimalmöbel aus drei unbehandelten Brettern und einem Rundholz. Seine schnörkellose Gestalt entspringt der Materialknappheit und ist zugleich Programm. Max Bill selbst pflegt in diesen Jahren einen auffälligen persönlichen Auftritt: Raspelkurzes Haar, Nickelbrille und superweite Pullover erzeugen die asketische Anmutung eines Zen-Mönches. Dass er aber bei all dem kein Dogmatiker ist, ist zu ersehen aus seinem 1952 publizierten Buch Form. Eine Bilanz über die Formentwicklung um die Mitte des XX. Jahrhunderts, wo man immerhin als Muster guter Gestaltung einen nun ja eher ziemlich luxuriösen britischen Bentley abgebildet findet (in polemischer Opposition zum oberflächlich-konsumistischen US-Autodesign). Auch wenn sein Bleiben an der HfG nur kurz ist (bis 1957), so wird Bill mit seinem Buch, themenverwandten Vorträgen und Ausstellungen zum maßgeblichen Propagandisten dessen, was man damals gerne „Gute Form“ nennt: eine Designtendenz, die auf Nützlichkeit aus ist, aber Eleganz und Schwung nicht missen möchte. „Schönheit als Funktion und aus Funktion“, so formuliert es Bill. Oder programmatisch zusammengefasst: Reduktion auf das Wesentliche vs. Oberflächenreiz. Genau hier haben wir natürlich auch den Kern der Attraktivität der Bill’schen Ästhetik des Einfachen für junge Gestalter heute. Ohne freilich den Begriff zu verwenden wird Bill zum Vordenker dessen, was wir heute Nachhaltigkeit nennen, einer Produktgestaltung (und Architektur), die ökologisches Denken und die Sorge um die menschliche Befindlichkeit in der gestalteten Umwelt zusammendenkt.
Aber noch einmal zurück zu Max Bills Laufbahn: 1932 geht er nach Paris, der Metropole der modernen Kunst seit den Impressionisten, und stößt dort auf Mondrian, den holländischen Hohepriester der geometrischen Abstraktion. Schon in der Schweiz hatte sich Bill der Gruppe Abstraction-Création angeschlossen, die sich als konstruktiver Gegenpol zu Dada und Surrealismus verstand. Gegenstandslos soll die Kunst sein und auf nichts außerhalb ihrer selbst verweisen: Punkt, Linie, Fläche, Farbe sind ihr bildschaffendes Vokabular, das tendenziell allen Menschen, unabhängig vom kulturellen Hintergrund, zugänglich ist. Diese Nicht-Referentialität der geometrischen Abstraktion betont Bill, indem er für seine Ausprägung der Gegenstandslosigkeit konsequent den Terminus Konkrete Kunst (oder vielmehr: konkrete kunst, aber mehr dazu später) verwendet. Max Bill belässt es nicht bei der eigenen einschlägigen Produktion, sondern ist als Theoretiker, Publizist, Ausstellungsmacher und Netzwerker unablässig auch für und mit geistesverwandten Kolleginnen und Kollegen im Inland und Ausland tätig. Darunter ist hier die Landsmännin Sophie Taeuber-Arp zu erwähnen: Die Lebens- und Arbeitswege beider kreuzen sich immer wieder, bis zu ihrem tragischen Unfalltod 1943. Bill widmet ihr in düsteren Schwarztönen seinen rhythmus in vier quadraten und mit gutem Grund wird die Künstlerin in der Berner Ausstellung mit einem eigenen Fokus gewürdigt.
Kurator und Bildhauer
Parallel zur künstlerischen Entwicklung betreibt Bill die Etablierung einer eigenen architektonischen Praxis. Basiert in Zürich entstehen Entwürfe für Wohn- und vor allem Ausstellungsgebäude, so für den Schweizer Pavillon auf der Triennale in Mailand oder die Landesaustellung Expo 1964 in Luzern. Auch in Lateinamerika ist Bill unterwegs, er wird auf der Biennale von São Paulo als Bildhauer ausgezeichnet (1951) und hält Vorträge, in denen er die moderne brasilianische Architektur als „elitär und dekorativ“ kritisiert. Trotz der daraus resultierenden Kontroversen am Ort lädt Bill 1960 zur groß angelegten Retrospektive der Konkreten Kunst. 50 Jahre Entwicklung in Zürich auch zahlreiche lateinamerikanische Künstler und Künstlerinnen ein. Die Internationalität soll der geometrischen Abstraktion globale Legitimation verschaffen, ein schwieriges Unterfangen allerdings angesichts der Dominanz – am Markt und in Ausstellungen und Museen – des europäischen Informel und des abstrakten Expressionismus US-amerikanischer Provenienz. Mit einem der lateinamerikanischen Mitstreiter, dem Argentinier Tomás Maldonado – auch er bekommt in der Berner Schau eine eigene Hommage – kommt es erst zum intensiven Gedankenaustausch und, später in Ulm, wohin ihn Bill als Dozent geladen hatte, zum Streit, der letztlich zu Bills Ausscheiden dort führte: Die Mehrheit des Kollegiums setzt auf eine wissenschaftliche Grundlage des Gestaltens, während Bill auf dem ästhetischen Anspruch besteht.
Der intensive Dialog auf mehreren Ebenen, verbal, gedanklich oder künstlerisch-praktisch, ist für den Schweizer von zentraler Bedeutung: So besucht er in den 1960ern mehrmals Josef Albers in den USA und setzt sich zugleich, wie dieser selbst, bildnerisch mit dem Quadrat auseinander. Auch zu anderen Bauhaus-Dozenten, die in die USA emigriert sind, hält Bill Kontakt, mit Lazlo Moholy-Nagy etwa und Walter Gropius. Nicht nur als Vortragsredner, sondern auch als Künstler betritt Bill in diesen Jahren die amerikanische Bühne: 1963 eröffnet in New York – die Stadt hat inzwischen Paris als maßgeblichen Kunststandort abgelöst – seine erste Einzelausstellung in den USA. Noch mehr produktives Netzwerken: Durch Kontakte aufmerksam gemacht, verfasst der Minimal Art-Künstler Donald Judd eine Besprechung der Ausstellung, Bekanntschaften zu den geistesverwandten Carl Andre und Richard Serra kommen zustande. Serra realisiert eine Stahlplastik für Bills Haus in Zürich und Andy Warhol tauscht Werke mit ihm. Bill wird nun wesentlich als Bildhauer wahrgenommen, eine lange Reihe von Werken für den öffentlichen Raum entsteht. Dabei beschränkt sich der Künstler keineswegs auf eine geometrisch-rektilineare Formsprache. Zunehmend faszinieren ihn plastisch gewordene Darstellungen mathematischer Kurven im Raum, an ein Moebiusband erinnernde Verschlingungen. Internationale Auszeichnungen für sein plastisches Werk kulminieren in der Verleihung des Praemium Imperiale 1993 in Tokio. Da die Arbeiten teilweise riesige Dimensionen erreichen – so beispielsweise rhythmus im raum beim Europäischen Patentamt in München oder kontinuität vor den Doppeltürmen der Deutschen Bank in Frankfurt/M. – ist hier, wie bei den architektonischen Pavillon-Skulpturen, dachlosen Bauten u.a. in Zürich, an eine eigenhändige Ausarbeitung nicht zu denken, das übernehmen spezialisierte Fachbetriebe. Es ist das Denken eines Designers, das sich hier zeigt. Kein Zufall vielleicht, dass Bill auch mit seinen Entwürfen für Uhren anhaltend erfolgreich ist. So sehr, dass seine für Junghans gestalteten Armbanduhren mit ihrer auf ein Minimum reduzierten Eleganz bis heute in Produktion geblieben sind (oder erneut genommen wurden: Nostalgie für die Moderne oder Vorbild für die Zukunft?).
Mit der Vorbildwirkung hat es in einer Hinsicht allerdings (bis heute zumindest) nicht geklappt: Max Bill ist seit den Tagen des Bauhauses streitbarer Anhänger einer radikalen Rechtschreibreform und schreibt daher bis ans Ende seiner Tage alle und alles klein: Das fängt bei den werktiteln an, ging zum professor und hörte beim max und beim bill nicht auf …
Auf einen Blick
Ausstellung: Max Bill Global
Ort: Zentrum Paul Klee, Monument im Fruchtland 3, 3006 Bern
Dauer: bis 9. Januar 2022.
Internet: www.zpk.org
Öffnungszeiten: Di – So 10:00 bis 17:00 Uhr
Für den Besuch im Zentrum Paul Klee gilt Zertifikatspflicht, d.h. die Besucher ab 16 Jahren benötigen ein gültiges Schweizer oder EU/EFTA-Covid-Zertifikat (geimpft, genesen, getestet) sowie einen amtlichen Personalausweis.
Katalog
Max Bill Global. Ein Künstler als Brückenbauer. Fabienne Eggelhöfer und Nina Zimmer (Hrsg.), mit Beiträgen von Fabienne Eggelhöfer, Heloísa Espada, María Amalia García, Guitemie Maldonado, Angela Thomas Schmid und Lynn Zelevansky, Broschur, 256 S. mit 153 farbigen und 39 s/w Abb., 22 x 28 cm, Scheidegger & Spiess, ISBN 9783858816979