Buchtipp

Frauen in der Kunst

Facetten weiblichen Kunstschaffens: eine Buchauswahl

„Müssen Frauen nackt sein, um ins Met-Museum zu kommen?“

Guerilla Girls, 1989

Seit 100 Jahren dürfen Frauen an deutschen Kunsthochschulen studieren. Spätestens seit den 1970er-Jahren wird darauf hingewiesen, dass Frauen in der Kunst unterrepräsentiert sind. Neuere Zahlen belegen das nach wie vor große Interesse von Frauen an der Kunst, sie zeigen aber auch, dass Geschlechtergerechtigkeit in diesem Bereich noch längst nicht erreicht ist.

Laut „Frauen in Kultur und Medien“, einer soziologischen Studie des Deutschen Kulturrats aus dem Jahr 2016, waren 55 Prozent der Studierenden der Bildenden Kunst weiblich, der Anteil der Frauen bei den Lehrenden lag allerdings nur bei 37 Prozent und weniger als fünf Prozent der Kunsthochschulen werden von einer Frau geleitet. Darüber hinaus verdienen weibliche Selbstständige im Bereich Bildende Kunst, die in der Künstlersozialkasse versichert sind, im Durchschnitt 27 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. In einem Blogbeitrag des Lenbach-Hauses schreibt Charlotte Coosemans 1, dass nur ein Viertel der in deutschen Galerien ausgestellten Werke von einer Künstlerin stammen, in deutschen Kunstmuseen liegt ihr Anteil sogar nur bei geschätzten zehn bis 15 Prozent.

Die amerikanische Kunsthistorikerin Linda Nochlin (1931– 2017) machte mit ihrem Essay „Why Have There Been No Great Women Artists?“ (1971) international auf die ungleiche Bewertung von Kunst von Männern und von Frauen aufmerksam und legte damit den Grundstein für eine feministische Kunstgeschichtsschreibung. Heute prangern internationale Initiativen wie ART+FEMINISM die Missstände auf dem Kunstmarkt seit vielen Jahren vehement an. Digital vernetzt setzen sie sich für die Stärkung der Sichtbarkeit von Frauen und Künstlerinnen ein. Wenn bislang unsichtbare Erzählungen nicht festgehalten und weitergegeben werden, gehen sie verloren. Als bis dato relevante strukturelle Leerstelle schließen sie Lücken im Wissen über Frauen, Gender, Feminismus und die Kunst auf Wikipedia, einer der weltweit größten Webseiten.2 Dieses Engagement hat Folgen: So etwa kommt das renommierte Museum of Modern Art (MoMA) in New York den Forderungen nach Gleichberechtigung nach und setzt nach einem Umbau 2019 zukünftig bei Ausstellungen explizit vermehrt auf die Integration der Kunstwerke von Minderheiten und Frauen.

Auch einige Verlage versuchen, bestehende Lücken zu schließen und widmen sich historischen wie zeitgenössischen internationalen Künstlerinnenpersönlichkeiten.

Frauen in der KunstIm Schweizer Midas Verlag erschien im letzten Jahr der Band „Frauen in der Kunst“ von Flavia Frigeri. Darin beschreibt die Kunsthistorikerin und Kuratorin die Biografien von mehr als 50 herausragenden Künstlerinnen aus unterschiedlichen Kunstbereichen. Dazu gehören Persönlichkeiten wie Artemisia Gentileschi, Georgia O’Keefe, Louise Bourgeois, aber auch viele weniger bekannte wie Carolee Schneemann, Joan Jonas oder Olga Tschernischewa. Im Anhang findet sich eine Zeitleisten- Chronologie bedeutender Leistungen von Frauen sowie Literaturempfehlungen, ein Glossar und ein Künstlerinnenindex.

Das Buch ist ein solider, chronologisch aufgebauter Einstieg in die weibliche Kunst, der den Bogen von der Malerei bis zur Aktionskunst spannt, von Lavinia Fontana (1552–1614) bis zu dem feministischen Künstlerinnenkollektiv „Guerilla Girls“, das 1985 gegründet wurde. Fünf Kapiteln zugeordnet (Neue Wege beschreiten – 1550 bis 1850; Pionierinnen der Avantgarde – 1860 bis 1899; Triumph und Trübsal – 1900 bis 1925; Klischees hinterfragen – 1926 bis 1940; Zeitgenössische Perspektiven 1942 bis 1985) enthalten die zwei bis vier Seiten, die jeder Künstlerin gewidmet sind, biografische Daten, ein bis zwei ganzseitige Abbildungen, einen Text zu Leben und Werk sowie Infokästen.

Ein Einsteiger-Buch ist auch das Buch „Rebel Artists“. Es handelt von 15 Frauen aus aller Welt, die sich als Künstlerinnen Respekt verschafften. Sie mussten gegen Vorurteile und für ihre Rechte kämpfen. Aber sie ließen sich durch nichts und niemanden von ihrer Kunst abbringen. Autorin Kari Herbert richtet sich mit ihren inspirierenden Geschichten, die Mut machen, Träume und Ideen zu verwirklichen und den eigenen Weg zu gehen, an eine jüngere Zielgruppe, doch auch erfahrene Leser*innen können bei ihr noch Interessantes entdecken. Cover - Great Women ArtistsDem Phaidon-Verlag geht es mit dem Bildband „Great Women Artists“ darum, Frauen und ihre Kunst sichtbar zu machen. Laut artnet News lag 2018/19 der auf Auktionen erzielte Erlösanteil der Kunst von Frauen international bei nur zwei Prozent. Eine Auswertung der Ausstellungen von 26 renommierten US-amerikanischen Museen während der vergangenen zehn Jahre zeigte, dass nur elf Prozent der Ankäufe auf Werke von Künstlerinnen fielen und nur 14 Prozent der Ausstellungen Künstlerinnen gewidmet waren. Die Geschlechtszugehörigkeit von Kunstschaffenden hat nicht zwangsläufig einen Einfluss auf deren Kunst, diese Zahlen belegen aber, so der Verlag, dass sie sehr wohl Einfluss darauf hat, wie ein Werk geschätzt, geschichtlich eingeordnet und bewertet wird. Dem setzt Phaidon ein unübersehbares Statement entgegen: einen großformatigen und schwergewichtigen Bildband, der das Werk von 400 internationalen Künstlerinnen aus fünf Jahrhunderten in großzügig reproduzierten Abbildungen präsentiert. Sie zeigen Schlüsselwerke der Künstlerinnen und würdigen deren Schaffen in kurzen Texten. Das umfangreiche englischsprachige Buch ist die bisher ausführlichste durchgehend illustrierte Publikation über Künstlerinnen und manifestiert deren facettenreiches Werk im kunsthistorischen Kanon. Ein informativer Band, der zahlreiche bis dato nahezu unbekannte Künstlerinnen mit ihren Werken in den Fokus rückt. Ein Grundlagenwerk, das eine bisher kaum wahrgenommene parallele Kunstgeschichte offenlegt. Ein anregendes Buch, das in eine vielstimmige Zukunft der Kunst weist.

Fantastische FrauenBegrenzt, aber ebenfalls beeindruckend, untersuchte die Ausstellung „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheimer bis Frida Kahlo“ in der Frankfurter Schirn die Rolle der Frauen im Surrealismus, einer zeitlich und thematisch definierten, vornehmlich männlich dominierten Kunstbewegung. Der noch verfügbare Katalog zur Ausstellung zeigt: Als Göttin, Teufelin, Puppe, Fetisch, Kindfrau oder wunderbares Traumwesen war die Frau das zentrale Thema surrealistischer Männerfantasien. Künstlerinnen gelang es oftmals nur als Partnerin oder Modell, in den Kreis rund um den Gründer der Gruppe der Surrealisten André Breton einzudringen. Allerdings zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass die Beteiligung von Künstlerinnen an der Bewegung wesentlich größer war als allgemein bekannt und dargestellt. Von ihren männlichen Kollegen unterscheidet sie vor allem die Umkehr der Perspektive: Oft durch Befragung des eigenen Spiegelbilds oder das Einnehmen unterschiedlicher Rollen sind sie auf der Suche nach einem neuen weiblichen Identitätsmodell. Auch mit dem politischen Zeitgeschehen, der Literatur sowie außereuropäischen Mythen und Religionen setzten sich die Surrealistinnen in ihren Werken auseinander. Mit rund 260 beeindruckenden Gemälden, Papierarbeiten, Skulpturen, Fotografien und Filmen von 34 internationalen Künstlerinnen bildet der Katalog ein vielfältiges stilistisches und inhaltliches Spektrum ab.

Frauen am BauhausAuch die Geschichte des Bauhauses ist häufig nur mit wenigen berühmten Männern wie Walter Gropius, Marcel Breuer, Wassily Kandinsky oder Paul Klee verbunden. Das Buch „Frauen am Bauhaus“ von Elizabeth Otto und Patrick Rössler, das 2019 anlässlich des Bauhaus-Jubiläumsjahres veröffentlicht wurde, stellt 45 Bauhaus-Frauen vor. Es ist der umfangreichste Überblick über die Frauen, die das Bauhaus geprägt haben und öffnet den Blick dafür, wie das Bauhaus Frauen aus der ganzen Welt anzog und durch diese kosmopolitischen Künstlerinnen, Designerinnen und Architektinnen weltweit bekannt wurde. Jede der Frauen, ihr Leben und ihr künstlerischer Werdegang werden ausführlich porträtiert. Darüber hinaus finden sich Literaturverweise zur weitergehenden Lektüre. Frauen den Stellenwert in der Kunst und -geschichte einzuräumen, der ihnen gebührt, ihr Wirken sichtbar zu machen und gleichberechtigt zu dem ihrer männlichen Kollegen zu verstehen, ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer Kunst, die jenseits von Geschlechterzuweisungen beurteilt wird. Zukünftig wird die Repräsentation von weiblichen Künstlerinnen, so Charlotte Coosemans, vor der doppelten Herausforderung stehen, „die existierenden Formen des Schreibens und der Wissensproduktion zu hinterfragen, und gleichzeitig neue Formen zu erproben. Der Anspruch, die leere Seite in der Männlichkeitskultur zu besetzen, beinhaltet das Risiko, allen Frauen eine gleiche Identität aufzuerlegen und so die Unterschiede zwischen Frauen zu nivellieren. Eine Strategie, um Repräsentationsformen zu stärken, die sensibel sind gegenüber den verschiedenartigen und manchmal unvergleichbaren Leben von Frauen besteht nach Victoria Horne und Lara Perry darin, die Debatte nicht über Identitätskategorien zu führen, sondern eine ganzheitliche Betrachtung der Individuen vorzunehmen.“3


1 Charlotte Coosemans: Warum braucht es einen Blogbeitrag zum Thema Frauen in der Kunst? (www.lenbachhaus.de/blog/warum-braucht-es-einenblogbeitrag- zum-thema-frauen-in-der-kunst, zuletzt abgerufen am 13.8.2020)

2 Siehe dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Frauen_in_der_Kunst

3 Charlotte Coosemans a.a.O.  

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