Porträt

Malerei im Wandel

Die Künstlerin Christine Westenberger

Das menschliche Auge sucht in Gemälden immer nach dem Zentrum oder der Mitte, von der die Komposition gesteuert wird. Christine Westenberger lässt in ihren jüngsten Malereien häufig die Mitte monochrom, wodurch die abstrakten Formen nach außen gedrängt werden. Dennoch bleibt die Komposition im Gleichgewicht. Sie wirkt ausgewogen, beruhigend und spannend zugleich. Allerdings war es bis dahin ein langer Weg der Entwicklung, der noch längst nicht abgeschlossen ist.

Die Künstlerin, die seit 2009 in Altenberge im nordrhein-westfälischen Kreis Steinfurt lebt und arbeitet, wurde an der Kunstakademie in Münster als Meisterschülerin von Professor Hermann-Josef Kuhna (1944–2018) stilistisch ganz anders geprägt. „Professor Kuhna hat sehr auf eine dezidierte Farbgebung geachtet. Zufällig durch Transparenz oder Überlagerung entstandene Farben an den Pinselrändern sollte man wieder neu anmischen und sauber auftragen. Das hat bei mir einerseits zu einer sehr guten Farbwahrnehmung geführt, aber auch zu einer farbigen Kleinteiligkeit, die mich erdrückt hat“, räumt Westenberger heute ein. Aufenthalte in Frankreich und der Einfluss von Kuhna führten sie zunächst zu einer impressionistischen Malweise, die sie heute längst hinter sich gelassen hat.

Christine Westenberger, Foto: Jonas Dessouky-Westenberger

Christine Westenberger
Foto: Jonas Dessouky-Westenberger

1998 hatte die Künstlerin, die 1977 in Limburg an der Lahn geboren wurde, ihr Kunststudium in Münster begonnen, 2006 hat sie es dort beendet. Und seither hat sich auch ihr Stil kolossal gewandelt. „Ich habe immer schon die Waage zwischen Erkennbarkeit und Abstraktheit gehalten. Die bloße Darstellung einer Sache war mir immer zu wenig. Es musste immer noch etwas ganz Persönliches, meine Bilderfindung, hinzukommen“, beschreibt sie heute die Motivation für diese Wandlung.

Deutlich ist eine Reduzierung der Formen in den jüngsten Bildern zu beobachten, die auf einer leuchtend roten, blauen oder gelben Fläche zu schwimmen scheinen. Kritiker haben das verglichen mit dem Japonismus, der mit großen Farbflächen mehrschichtige Ansichten in Landschaften oder Interieurs ersetzt. Dadurch werden die Bilder flächiger, weniger tiefenräumlich und sie wirken deshalb nur scheinbar einfacher. Dazu gesellt sich eine „zeichenhafte, runenhafte und kalligrafische Formensprache“, so die Künstlerin, die eine ganz neue Formensprache offenbart – mit einer ganz eigenen Wirkung auf den Betrachter.

Im Herbst 2019 hatte Westenberger auf der Burg Lüdinghausen in Lüdinghausen und im DA Kunsthaus Kloster Gravenhorst in Hörstel zwei große Ausstellungen, in denen dieser stilistische Wandel sehr gut zu sehen war. In Lüdinghausen zeigte sie Werke aus der etwas älteren Reihe der Fragmente, in denen sie sich seit 2011 mit der Architektur und architektonischen Fragmenten auseinandersetzt.

„Durch die Durchdringung und Überlagerung der einzelnen Elemente konnte ich wiederum ganz neue Zusammensetzungen schaffen, die zwar an Erkennbares erinnern, aber nie bloße Darstellung von etwas Konkretem sind. Mir geht es um Wandlungsprozesse, um eine Transformation der Formen und um die Möglichkeit der Neugestaltung aus dem Vergangenen“, erklärt die Künstlerin diesen Umbruch.

Ceres, 2019, Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 150 cm (Serie „Durchbrüche“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020/ Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger

Ceres, 2019, Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 150 cm (Serie „Durchbrüche“)
VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger

Linien durchdringen sich, überlagern sich, führen zu den Bildrändern, wo sie wie abgeschnitten enden. Noch ist die Bildmitte gut gefüllt. Man erkennt Pinselspuren in linearen Elementen, erahnt Verstrebungen zwischen eckigen, gerundeten oder rein linearen Formen. Die Assoziation moderner Bauwerke drängt sich auf. Doch eine Antwort darauf, ob es tatsächlich Bauelemente aus Stahl und Beton sind, gibt die bloße Betrachtung des jeweiligen Gemäldes nicht.

Auch für dieses Phänomen hat Westenberger eine plausible Erklärung: „Ich eröffne dem Betrachter Bild- und Erlebnisräume, die außerhalb seiner normalen Seherfahrung liegen. Nach der Fertigstellung des Bildes spricht es aber für sich selbst. Ich bin froh und glücklich, wenn es Betrachter gibt, bei denen meine Arbeiten etwas auslösen. Ich kann nur empfehlen, nicht zu sehr nach Erkennbarem zu suchen. Meine Bilderwelt spielt sich eher auf einer Empfindungsebene ab.“

Und das gilt auch für die ganz neuen Gemälde, die sie in Hörstel ausstellte, in denen ihr der ganz persönliche Durchbruch zu einer ganz eigenen Formensprache gelungen ist.

Jetzt schweben die Formen endgültig zum Bildrand und geben den Blick frei auf eine monochrome Farbfläche. Zusätzlich ändert sich auch die Farbgebung, denn ein leuchtendes Gold verwandelt, veredelt und mystifiziert ihre Bilder. 2017 hat sie im Eiskeller in Altenberge ausgestellt. Die Erfahrung des dunklen, feuchten Kellers und die langwährende Auseinandersetzung mit der orthodoxen Kunst Russlands und mit der Kunst des alten Ägypten bringt sie dazu, erstmals Gold als strahlende Farbe einzusetzen. Sie nennt das selbst eine „reduzierte, verschärfte Formgebung mit klarer, leuchtender und ungebremster Farbigkeit“.

Diese Beschreibung definiert die permanente Umbruchphase, in der sich die Künstlerin seit 2006 befindet. Die Formensprache entfernt sich immer weiter von der Assoziation architektonischer Fragmente. „Die Bildfläche bekommt etwas Meditatives und Atmendes. Während die Serie der Fragmente eher in gedeckten Farben gehalten war, bricht nun eine stark leuchtende Farbigkeit durch“, definiert Westenberger ihre stilistische Wandlung. Sie reduziert die Formen, setzt sie immer seltener übereinander, sondern eher nebeneinander. Es sind weniger runde Formen, sondern eher gebrochene, geknickte oder ausgehöhlte Linien unterschiedlicher Breite. Die Farben werden klarer und sind im Vergleich zur Fragmente-Serie reduzierter und kontrastreicher.

Old Mine, 2012, Öl auf Leinwand, 200 x 140 cm (Serie „Fragmente“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020/ Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Old Mine, 2012, Öl auf Leinwand, 200 x 140 cm (Serie „Fragmente“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Mephisto, 2012, Öl auf Leinwand, 160 x 160 cm (Serie „Fragmente“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020/ Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Mephisto, 2012, Öl auf Leinwand, 160 x 160 cm (Serie „Fragmente“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Pandora, 2016, Öl auf Leinwand, 250 x 150 cm (Serie „Fragmente“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020/ Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Pandora, 2016, Öl auf Leinwand, 250 x 150 cm (Serie „Fragmente“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Durchbruch, 2019, Öl auf Leinwand, 150 x 100 cm (Serie „Durchbrüche“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020/ Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Durchbruch, 2019, Öl auf Leinwand, 150 x 100 cm (Serie „Durchbrüche“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Antares, 2019, Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 150 cm, Mischtechnik auf Leinwand, 2019 (Serie „Durchbrüche“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020/ Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Antares, 2019, Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 150 cm, Mischtechnik auf Leinwand, 2019 (Serie „Durchbrüche“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Corona, 2019, Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 150 cm (Serie „Durchbrüche“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020/ Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Corona, 2019, Mischtechnik auf Leinwand, 200 x 150 cm (Serie „Durchbrüche“) VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Eklipse, 2019, Öl auf Leinwand, 150 x 100 VG Bild-Kunst, Bonn 2020/ Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger
Eklipse, 2019, Öl auf Leinwand, 150 x 100 VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Christine Westenberger, Foto: Christine Westenberger

Schon als Kind wusste Westenberger, dass ihre Zukunft der Malerei gehört. Diese „innere Gewissheit“ trägt sie bis heute auch durch Phasen des Zweifelns. Dennoch verlässt sie immer wieder gern die malerische Ebene, indem sie ihre Umgebung auf Reisen und Zuhause fotografiert. „Ich nutze dies wie eine Art schnelles Skizzenbuch, wie eine Schatztruhe für meine Formensprache“, definiert sie diese Abweichungen vom Weg der Malerei.

Das heißt aber nicht, dass sie nach ihren Fotos malt, sondern ihre Gemälde entstehen vollkommen losgelöst davon. Hat sie erst einmal eine Formen- und Farbkombination gefunden, die sie fasziniert und inspiriert, entstehen daraus ganze Serien. Parallel zur Serie der Fragmente sind sogar plastische Arbeiten aus Streichhölzern entstanden. Auch diese kleinen Skulpturen nutzt sie als Inspirationsquelle für die Malerei.

Lange hat Westenberger nur in Öl gemalt, da sie die „Saftigkeit der Ölfarbe“ schätzt. Davon ist sie in den letzten Jahren abgewichen, denn die neuesten Bilder erfordern manchmal eine andere Herangehensweise. Deswegen kombiniert sie heute die verschiedenen Farbentypen, je nach Bedarf.

Titellose Gemälde gibt es im Œuvre von Christine Westenberger auch nicht – sie bevorzugt Wortspiele und Mehrdeutigkeiten. Genauso gern lässt sie sich durch Assoziationen leiten. „Vielleicht erinnert mich ein Rot an Mephisto oder eine Kombination aus Gold und Blau an die Erschaffung der Welt, also an die Genesis“, beschreibt sie die nicht immer einfache Titelfindung nach Vollendung des Werkes.

Christine Westenberger hat sich ihre Neugier erhalten. In nur wenigen Jahren hat sie ein rasantes Tempo mit ihrem stilistischen Wandel bewiesen, der noch längst nicht abgeschlossen ist. Man darf gespannt sein, welchen Weg sie in Zukunft einschlagen wird.

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Profile

Christine Westenberger, geboren 1977 in Limburg an der Lahn, studierte an der Kunstakademie Münster und ist Meisterschülerin von Hermann-Josef Kuhna (1944–2018). Seit 2017 arbeitet sie als freiberufliche Künstlerin. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland präsentiert, u.a. im Staatlichen Kunstmuseum Mogilev, Weißrussland, Gustav-Lübcke-Museum Hamm, im Landtag Düsseldorf und im DA Kunsthaus Kloster Gravenhorst. Christine Westenberger arbeitet zusammen mit der Galerie Sprungbrett, Potsdam, und lebt in der Nähe von Münster.

 

[Foto: Jonas Dessouky-Westenberger]

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