Die altmeisterlich gemalten Bilder von Bart Koning
Das Meer, besser gesagt, der Ausschnitt eines Meeres, fast quadratisch, 155 x 150 cm, gestochen scharf, kleine Wellen kommen eilig herbei, brechen, laufen aus auf dem Sandstrand, bilden winzige Schaumkronen. Dreck oder Sauerstoff? Wer weiß das heute schon, ist auch nicht so genau zu erkennen, obwohl das Bild gestochen scharf ist, oder vielleicht doch nicht? Vielleicht ist es auch gar kein Foto wie auf den ersten Blick gedacht, sondern ein gemaltes Bild?
Die Lichtpunkte auf der Wasseroberfläche könnten auch mit Pinsel und Farbe erzeugt worden sein – ebenso wie das ganze Bild. Und so ist es auch. Öl auf Leinwand. Der Titel, „A.M.“, erschließt sich erst, wenn man das zweite Bild daneben sieht. Gleich groß, Öl auf Leinwand, Titel: „P.M.“, und wenn man dann ganz genau hinschaut, sieht man auch in der Dunkelheit das Meer. Ante Meridiem und Post Meridiem, nach dem Mittag muss es zwar noch nicht dunkel sein und vor dem Mittag kann es noch dunkel sein, beides ist möglich, aber die Titel sind von Bart Koning, dem Künstler, so gewählt und die Bilder zeigen, soweit man das erkennen kann, zwei unterschiedliche Zustände des Meeres. Ein dritter mit dem lakonischen Titel „It is Windy“ zeigt ein aufgewühltes Meer mit höheren Wellen, weißen Schaumkronen, keinem Strand. Und hier sieht man nun auch genauer, dass es sich um ein gemaltes Bild handelt, nicht um eine Fotografie.
So realistisch gemalte Bilder, heute? Alle drei stammen von 2018, sind also wirklich aktuelle Kunst. Das Erstaunen ist jedoch unbegründet, denn auch wenn spätestens seit dem Impressionismus die unterschiedlichsten Ismen die Kunstszene beherrschten und die abstrakte Kunst auf dem Vormarsch war, so gehörten verschiedene Formen des Realismus immer dazu, wie die Neue Sachlichkeit der 1920er-Jahre und der Fotorealismus als Gegenbewegung zu Farbfeldmalerei, abstraktem Expressionismus und Pop-Art.
Der 1957 geborene Bart Koning, der sich zehn Jahre nach Ende seines Studiums der Malerei in Utrecht und Amsterdam in Krefeld niederließ und dort bis heute lebt und arbeitet, wird auch häufig als Fotorealist bezeichnet. Das ist vielleicht nicht die ganz korrekte Bezeichnung für den in altmeisterlicher Manier arbeitenden Künstler, der nicht nur Ausschnitte eines Meeres malt (ob es sich dabei um die Nordsee oder das Mittelmeer handelt, sei dahingestellt), die man durchaus als fotorealistisch bezeichnen könnte, sondern auch Alltagsgegenstände und Stillleben. Letztere werden häufig mit den Stillleben des 17. Jahrhunderts in Verbindung gebracht, schon aufgrund der Herkunft des Malers. Doch fehlt den Gemälden die Prachtentfaltung vieler niederländischer Stillleben. Andererseits sind sie auch nicht mit der calvinistischen Kargheit zu vergleichen, die andere Stillleben der Zeit besitzen. Die Alltagsgegenstände jedoch passen weder zum altmeisterlichen Stil, noch stehen sie in einer Tradition. Dafür stellen sie Bruchstücke von Konings Leben dar: das täglich benutzte Hollandrad, das einst dem Bruder gehörte, der nicht mehr lebt. Dem Bild gab Koning 2004 den Titel „Ein treuer Geselle“. Es präsentiert sich auf der Leinwand ebenso groß wie in Wirklichkeit, gemalt im Maßstab 1:1 wie so viele andere seiner Bilder. Allerdings nicht alle, denn das alte Spielzeug, dem er sich in den letzten Jahren verstärkt zugewandt hat, ist überdimensional groß. Das war schon bei seinem Bären so, dem Begleiter seiner Kindheit, den er nicht maßstabsgetreu malte, sondern dem er die jetzige Körpergröße von Bart Koning gab – und der Künstler misst 1,90 Meter.
Zu diesem Bären gesellen sich inzwischen zahlreiche Spielzeugautos und Figuren, alle aus Elastolin, einer Masse, aus der bereits Ende des 19. Jahrhunderts Spielzeug gegossen wurde und das dann ab den 1950er-Jahren vom Kunststoff abgelöst wurde. Doch in der Kindheit von Koning gab es durchaus noch solche Figuren, darunter Autos wie das „Taxi“, das er allerdings in den Maßen eines realen Taxis der Zeit darstellte, weshalb das Bild 200 x 310 cm misst und damit eine Bedeutung erhält, die es nicht erlangt hätte, wenn er seinem Prinzip der Maßstabsgenauigkeit treu geblieben wäre. Doch dann wäre auch die Erinnerung an die Kindheit zusammengeschrumpft auf die Idee des unwiederbringlich Schönen, dieser Romantisierung, die so selten zutrifft. Das bestätigte auch Koning 2016 in der Ankündigung zur Ausstellung im Kunstverein Schopfheim: „Manche Menschen glauben, die Kindheit sei das Reich der Nostalgie. Für mich ist es eher eine Zeit der Verletzungen. Womit ich nicht sagen will, die Erinnerung an früher bringe nur Negatives zum Vorschein. Doch offenbar suche ich nach Spuren an Gegenständen, die für andere, innere Spuren stehen könnten.“
Und so ist auch beim Taxi „der Lack ab“. Grün und Gelb, die Farben, in denen das hochbeinige Modell angestrichen ist, sind an etlichen Stellen abgeblättert. Zum Vorschein kommt eine graue, nicht besonders ansprechend wirkende Masse. Das Transportmittel Taxi wird hier in dem Bild zum Bewahrer der Erinnerung, die nicht unbedingt positiv sein muss, ebenso wie es das Schicksal mit dem Taxi nicht gut gemeint hat, das lange in einer Kiste sein Dasein fristen musste und vorher auch nicht immer pfleglich behandelt wurde. Das hat es gemeinsam mit den anderen Spielzeugautos, dem Rennwagen und dem Notfall-Wagen mit seinem für uns heute völlig skurril aussehenden Fahrer mit Glubschaugen und einem merkwürdigen Hut auf dem Kopf sowie mit den Spielzeugfiguren, die Koning einzeln auf die Leinwände gemalt hat, immer als Büsten. Damit erinnern Batman, Polizist, Astronaut & Co. an Porträtbilder, wie sie seit der Renaissance üblich waren. Doch auch bei ihnen blättert die Farbe, ihren nur angedeuteten Gesichtern fehlen die Augen, was sie zu blinden Protagonisten macht – oder natürlich auch zu Sehern, will man die griechische Mythologie bemühen, die bei Bart Koning immer wieder zu finden ist.
So malt er 2019 ein Stillleben, bei dem sich Trauben auf einem weißen Tuch befinden und setzt so bildlich den berühmten Wettstreit der Künstler um, bei dem es um die Vollkommenheit der Malerei geht, die zur Täuschung des Auges führt. Die Legende erzählt, dass Zeuxis Trauben malte, zu denen die Vögel geflogen kamen, um an ihnen zu picken, Parrhasios hingegen Zeuxis zu einem Vorhang führte, den dieser vergeblich zu öffnen versuchte, um das Bild betrachten zu können, das sich vermeintlich dahinter verbarg. Die Trauben hat Bart Koning so täuschend „echt“ gemalt, dass man sich die Geschichte mit den Vögeln vorstellen kann oder aber auch selbst gerne davon stibitzen würde. Unter dem Tuch verbirgt sich vermutlich der alte Tisch, den der Großvater geschreinert hat und der in vielen Stillleben als Unterlage für Obst oder Gemüse dient, hier aber eben verdeckt ist. Das Tischtuch ist nicht glatt, nicht frisch gebügelt, sondern wirft Falten, besitzt Knicke und wirkt durch seine knittrige Struktur lebendig. Die Spannung, die dadurch entsteht, ist eben auch dem echt wirkenden Tuch geschuldet, das damit an den Vorhang des Parrhasios erinnert.
Die Trauben sind natürlich nicht das einzige Stillleben, das in den letzten Jahren entstanden ist, und auch hier arbeitet Koning maßstabsgetreu. Allerdings tischt er – wie oben erwähnt – weder üppig auf, noch betont er die Kargheit. Durch die Konzentration auf eine Frucht (oder auch mal eine Schale voller Erdbeeren) hebt er das Besondere, das Charakteristische hervor wie das leuchtende Orange der Kaki, das durch die dunkle Sockelfläche und das Grün der Blätter unterstrichen wird. Das Hineinversenken in Form und Farbe ist vielleicht noch besser bei den vier Tulpenbildern nachzuvollziehen, die nicht nur einen unterschiedlichen Hintergrund besitzen und aus einer immer wieder neuen Perspektive gemalt sind. Es scheint sich um verschiedene Charaktere zu handeln, die zu ergründen sich erst der Maler die Mühe gemacht hat, um nun den Betrachter aufzufordern, es ihm gleich zu tun. Die Fragilität der Blüten ist dabei eine Komponente, die sich mit einem Gefühl der Kostbarkeit verbinden lässt und die sich auch in anderen Stillleben wie beispielsweise bei dem zarten Radicchio findet.
Bleiben noch die Tiere. Die meisten der Modelle sind nicht lebendig, Koning bedient sich diverser Tierpräparate, die ihm in Kisten ins Atelier geliefert werden und die er früher in ihren Kisten gemalt hat. Das tut er nun nicht mehr, sondern wählt Ausschnitte wie Kopf und Hals von weißem und schwarzem Schwan, die beide vor einem dunkelgrauen Hintergrund gezeigt sind, wodurch der weiße Schwan einen sehr viel größeren Kontrast zum Hintergrund bildet als der schwarze.
Ein ganz besonderes Bild ist „When We Get There“ von 2018, denn hier treffen plötzlich Wasser, Ufer, Tiere aufeinander, völlig untypisch für Koning, der sonst die einzelnen Objekte separiert. Vor einem nur leicht bewegten Wasser, das ebenso Meer wir Fluss sein kann und tatsächlich den Rhein abbildet, befinden sich drei Hunde an einem sehr steinigen Sandstrand. Der mittlere Hund sitzt, die anderen beiden stehen rechts und links von ihm, alle schauen prüfend auf die Betrachter und so angespannt, wie die Körper der beiden stehenden wirken, möchte man ihnen vielleicht lieber nicht begegnen. Die Modelle sind diesmal keine Präparate, sondern lebendige Hunde, die Koning kennt (oder gekannt hat), die aber sicher nicht so furchteinflößend waren, wie er sie dargestellt hat. Unnötig zu sagen, dass auch dieses Bild wieder ein Großformat ist: Mit 140 x 210 cm sind die Hunde alle in ihrer tatsächlichen Größe abgebildet.
Ein Fluss, Steine, drei Hunde, es liegt nahe, an den Fluss Styx zu denken, über den die toten Seelen vom Fährmann zum Hades gebracht wurden, zur Unterwelt, die vom dreiköpfigen Höllenhund bewacht wurde, dem Zerberus. Und damit ist Koning wieder bei der griechischen Mythologie angekommen, die er allerdings „entschärft“, indem er aus einem Höllenhund drei Hunde macht. Auch die Hölle ist heute menschlicher geworden.
Aktuelle Ausstellung
Bis 7. Juli 2019:
Bart Koning – Neue Stillleben
Galerie Karsten Weigmann
Galerie Peter Tedden
Mutter-Ey-Straße 5
40123 Düsseldorf
www.galerie-weigmann.com
www.galerie-tedden.de
Öffnungszeiten: Mi-Fr 15.00–19.00 Uhr, Sa. 10.00–14.00 Uhr u.n.V.
Ausstellungsbeteiligung
30. Juni bis 4. August
Die Grosse 2019
Kunstpalast
Ehrenhof 4–5
40479 Düsseldorf
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