„Kunst & Kohle“ ist ein die Region umspannendes Ausstellungsprojekt in 17 Kunstinstitutionen in 13 Städten des Ruhrgebiets. Es ist Bestandteil der Initiative „Glückauf Zukunft!“, die von solchen Schwergewichten wie der RAG Aktiengesellschaft und der Evonik Industries AG getragen wird. Anlass ist das Ende des Steinkohleabbaus und damit die Schließung der Zechen. Im Ruhrgebiet stellt zum Jahresende als letzte Zeche Prosper-Haniel in Bottrop den Betrieb ein. Mit einer Vielzahl kultureller Aktivitäten begleitet „Glückauf Zukunft!“ diesen Wandel, der dem Ruhrgebiet, in dem 250 Jahre Steinkohle abgebaut wurde, ein neues Gesicht geben wird. Die Initiative erinnert und sie blickt in die Zukunft.
Spätestens jetzt wird deutlich, wie wichtig und sinnvoll der Zusammenschluss der Museen – überhaupt der Kunstinstitutionen – im Ruhrgebiet ist. Gegründet wurde dieses Versprechen gemeinsamer Ausstellungsaktivitäten als „RuhrKunstMuseen“ vor zehn Jahren, im Kontext der Wahl des Ruhrgebietes zur Kulturhauptstadt Europas: zu „RUHR2010“. Damals wurde gerade mit der gigantischen, atemberaubenden Architektur der Zechen, den Schächten unter Tage und der Industriegeschichte, schließlich dem Milieu mit der urbanen Struktur und dem Menschentypus im Ruhrgebiet geworben. Acht Jahre später wird vieles also dicht gemacht. Wohl zu Recht hat der Oberbürgermeister der Stadt Recklinghausen anlässlich der Eröffnung der Ausstellung mit Gert & Uwe Tobias in der Kunsthalle bemängelt, dass nicht eine einzige Zechenanlage weiterbetrieben wird: als Dokument und auch zu Ausbildungs- und Wissenschaftszwecken, schließlich ist die Energiegewinnung nicht endgültig gelöst.
Nur selten blitzen in den Ausstellungen von „Kunst & Kohle“ derartige politische und ökologische Fragen auf. Und doch, schon der Titel verrät das Austragen und Thematisieren brisanter gesellschaftlicher Gegensätze. Während „Kunst“ Luxus und Wertanlage verspricht, scheint „Kohle“ billig, schmutzig. Das Ausstellungsprojekt widerlegt diesen Antagonismus. Es weist auf den ökonomischen Wert der Kohle und sein ästhetisches Potential. Es liefert Zeugnisse der Vergangenheit und forscht in der jüngsten Gegenwart des Kohleabbaus im Ruhrgebiet. Und es wendet sich der Industrielandschaft zu. Die Ausstellungen sind Annäherungen an das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln und in verschiedenen künstlerischen Medien, mit Laienkünstlern aus der Region und Global Playern im Kunstgeschehen, vor allem aber herausragenden, in Deutschland ansässigen Künstlern, mit etlichen Werken von Weltrang und direkt auf das Thema bezogenen Beiträgen, darunter etliche Neuproduktionen, die als Installationen auf die jeweiligen Räume hin konzipiert wurden.
Zu den „Klassikern“ einer Kunst über das Ruhrgebiet zählen die fotografischen Aufnahmen des Düsseldorfer Künstlerpaares Bernd und Hilla Becher. Sie gehören – wie Alicja Kwade, Olaf Metzel oder Bernard Venet – zu den Künstlern, die bei mehreren Ausstellungen dabei sind. Ihren Hauptauftritt haben die Bechers nun im Josef Albers Museum Quadrat Bottrop: Ihre Einzelausstellung zeigt Fotografien von Zechenanlagen nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch aus anderen Regionen in Europa und den USA. Bernd und Hilla Becher entwickeln Typologien mit Folgen kleinformatiger s/w-Fotografien, die immer sachlich, zentriert von leicht erhöhtem Standort aufgenommen sind. Ohnehin menschenleer, sind die Gebäude durch die Perspektive der Aufnahme fokussiert; nun lassen sie sich im Hinblick auf ihre Funktionalität, aber auch ihre architektonische Spezifik und sogar die skulpturale Präsenz erfahren. Im Kontext von „Kunst & Kohle“ lenken die Fotografien noch den Blick auf die neue Rolle als Denkmal und die Konstituierung eines Archivs für die Nachwelt, dann, wenn die Gebäude abgerissen sein sollten. Entstanden ist eine wunderbare und in ihrer Beharrlichkeit fast heitere Ausstellung.
So wie diese Fotografien den Blick auf das Geschehen über der Erde und in die Höhe richten, so gibt es bei „Kunst & Kohle“ natürlich Ausstellungen, die sich den Szenerien „unter Tage“ zuwenden: Im Besonderen initiieren sie emotionale Erlebnisse. Das betrifft vor allem die Ausstellungen von Gert und Uwe Tobias in Recklinghausen und von Andreas Golinski im Kunstmuseum Bochum. Beide lassen den Betrachter einen Parcours abschreiten. Die Raumfolgen sind verdunkelt, schwach beleuchtet wie mit Grubenlampen, sie sollen an Kohleschächte erinnern. Zugleich dienen die Gänge als Displays der Kunstwerke. Gert und Uwe Tobias haben hier Installationen und Wandmalereien geschaffen und ihre Holzschnitt-Bilder aufgehängt, mit denen sie berühmt geworden sind. In den neuen Bildern, die für Recklinghausen entstanden sind, sind ihre typischen Figurationen zurückgenommen und die Flächen sparsamer besetzt. Im Bunker am Hauptbahnhof werden die Bilder mit dem Aufstieg von Stockwerk zu Stockwerk leichter, auch abstrakter, und sind schließlich, mit der Darstellung von Vögeln und Bäumen, dem Tageslicht zugewandt. Andreas Golinski seinerseits vergleicht die labyrinthische Struktur im Dunkel mit dem Graben in der eigenen Erinnerung, mit dem Hervorholen von Unbewusstem. Der Schacht wird von ihm durch das Motiv des Risses symbolisiert, der wieder auf Verschüttetes, Verletzung und Zeit weist: Im Zentrum der eindrucksvollen Bochumer Ausstellung steht die intuitive, genaue Nachbildung eines archäologischen Ausgrabungsfeldes. Gerade weil der verwandte Ausgangspunkt zu so verschiedenen Ergebnissen führt und zugleich diese wichtigen Künstler aus NRW vorstellt: Es lohnt sich gewiss, die Ausstellungen in Recklinghausen und Bochum nacheinander zu sehen.
Und die Kohle selbst: Im Kunstmuseum Mülheim widmet sich Helga Griffiths voll und ganz der Kohle als Substanz, ihrer Entstehung vor mehr als 300 Millionen Jahren und ihrem Geruch, und zwar auf ziemlich überraschende Weise. In den Flottmann-Hallen in Herne wiederum sind die mittels Verbrennung geschwärzten Holzskulpturen des walisischen Land-Art-Künstlers und Bildhauers David Nash zu sehen. Seine Werke vollziehen den Wechsel von der organischen zur anorganischen Materie. Auch das Lehmbruck Museum nimmt sich der Kohle als solcher an: mit ihrer Erscheinung, aber auch ihrem Nutzen und dem Prozess ihres Abbaus. Überhaupt wäre auf Duisburg hinzuweisen: Dort sind im Museum DKM und im Museum Küppersmühle weitere Ausstellungen mit mehreren Künstlern zu sehen, die die Thematik „Kunst & Kohle“ unter unterschiedlichen Aspekten bereichern.
Die interessanteste davon aber findet im Lehmbruck Museum am Hauptbahnhof statt. So vereint sie einige „Klassiker“ – Reiner Ruthenbeck mit seinen „Aschehaufen“ oder auch ältere Beiträge von Richard Serra, Bernard Venet und Jannis Kounellis – und führt sie mit mehreren jüngeren, aktuell angesagten Künstlern wie Peter Buggenhout und Lara Favaretto zusammen, und zwar in durchgehend hoher Qualität. Alicja Kwade verweist auf den kommerziellen Gewinn, indem sie Kohlestücke mit Gold ummantelt – und auf den Boden stellt. Bei dem Südafrikaner William Kentridge ist die Kohle in ständigem Fluss. In seinem 35-mm-Animationsfilm, den er 1991 gezeichnet hat und der immer noch aktuell ist, wendet er sich der harten Arbeit der Kumpels zu und der Ausbeutung durch die Wirtschaftsbosse. David Hammonds betont mit seiner Modelleisenbahnanlage, die sich auf dem Boden zwischen den Flügeldeckeln von Klavieren schlängelt, die Vertriebswege und die überlieferte soziale Tradition des Bergbaus. Besonders originell ist die Installation von Frauke Dannert. Sie evoziert mit ganz eigenen Mitteln die Anmutung des Schachtes unter Tage. Alles gerät ins Wanken, der Raum wirkt von draußen eng, klaustrophobisch. Die Streifen, die die tragenden Balken markieren, sind zugleich Leitsysteme. Gleichzeitig rekapitulieren sie – wieder ganz in der Wirklichkeit des Ortes – den Lichteinfall durch die Scheiben des Lehmbruck Museums. Diese Illusion sollte man selbst auf sich wirken lassen: So einfach stellt sich Aura ein!
Im Museum Glaskasten in Marl wird – unter anderem – Jeremy Dellers Video „The Battle of Orgreave“ (2001) gezeigt, das noch mit Interviews den Blick auf die Konflikte zum Ende des Kohlenbergbaus in England richtet, und im Märkischen Museum Witten ist die gesellschaftliche Veränderung des Ruhrgebietes mit den dadurch entstandenen sozialen Problemen ein Thema, das hier besonders mit Werken zwischen Skulptur und Installation verhandelt wird. Natürlich, ein Hauptbeitrag zu „Kunst & Kohle“ ist die Verhüllung der Fassade von Schloss Strünkede mit Kohlesäcken durch den seit der letzten documenta weltweit gefragten Ibrahim Mahama. Aber es kommen immer weitere Orte dieser Ausstellungsreihe in den Blick. Das Thema „Kunst & Kohle“ fächert sich als enorm weites Spektrum auf, unvermeidlich nicht ohne Wiederholungen und in künstlerischer Subjektivität, aber auch Intensität.
Und dann ist da eine Ausstellung, die eigentlich gar nicht dazugehört: „Das Zeitalter der Kohle“. Im Ruhr Museum im UNESCO-Welterbe Zollverein in Essen, das sich ohnehin dieser Thematik verschrieben hat, wird kulturgeschichtlich – also ohne Kunst, dafür dokumentarisch – die Geschichte des Kohleabbaus in Europa beleuchtet. Vielleicht müsste man die Tour hier beginnen?
Informationen
Die meisten der Ausstellungen laufen bis Mitte September. Es gibt dazu hilfreiches Informationsmaterial, Kataloge etc.
Weitere Informationen: ruhrkunstmuseen.com
Darüber hinaus:
„Das Zeitalter der Kohle“, bis 11. November 2018 auf Zeche Zollverein, www.zeitalterderkohle.de
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