Das Märkische Museum Witten zeigt sechs aktuelle Positionen.
Die Malerei ist eine der ältesten – wenn man bei den Höhlenmalereien der Steinzeit beginnt, sogar die älteste – Gattung der Kunst. Im Laufe ihrer Geschichte gab es zahlreiche Theorien, Strömungen und historische Wandlungen, denen dieses Medium unterworfen war. Die Malerei hatte lange Zeit als eine ihrer Hauptfunktionen einen abbildenden Charakter. Das Bild sollte laut dem Renaissance-Künstler und Theoretiker Leon Battista Alberti (1404–1472) einem offenen Fenster gleichen, das einen Blick auf einen Ausschnitt der Wirklichkeit erlaubt. Gleichzeitig dienten die Gemälde, die hauptsächlich als Auftragswerke der Kirche oder des Adels entstanden, als Vermittler von religiösen und metaphorischen Inhalten sowie als Repräsentation von Machtgefügen.
Malerei fand nie nur um ihrer selbst willen oder aus ästhetischen Gesichtspunkten statt, sondern wurde stets auch als Öffentlichkeitsarbeit für die Mitteilung politischer und philosophischer Statements benutzt. Erst mit der Entwicklung der Moderne konnte sich die Kunst teilweise von ihren politischen Funktionen loslösen und als „Kunst um der Kunst willen“ (l‘art pour l‘art) ihren Einzug in das entstehende großbürgerliche Milieu halten. Um 1830 forderten mehrere französische Kunstkritiker und Schriftsteller eine autonome Kunst, bei der einzig die ästhetische Gestaltung des Kunstwerks von Bedeutung ist und die keinem äußeren Zweck mehr dienen soll. Der französische Maler Maurice Denis schrieb 1890: „Ein Bild ist – bevor es ein Schlachtpferd, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote darstellt – vor allen Dingen eine plane Fläche, die in einer bestimmten Ordnung mit Farben bedeckt ist.“ Damit leitete er eine der Grundsatzdiskussionen der modernen Kunst ein: Den Weggang von der abbildhaften Malerei, die noch einem außerbildlichen Zweck dient, hin zu einer Malerei, die sich rein mit ihren eigenen Materialien und Bedingungen – der Farbe, der Leinwand, Komposition und Konstruktion sowie den Bewegungen des Künstlers beim Malakt – auseinandersetzt.
Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts gab es viele Theorien zur Malerei, die sich mit verschiedenen Aspekten der Abstraktion auseinandergesetzt haben. Jede Theorie setzte andere Schwerpunkte, ob nun die unterschiedliche Wirkung von Farben, die Wichtigkeit der Komposition und Konstruktion eines Bildes auf den Gesamteindruck oder die Ausdrucksmöglichkeiten der inneren Zustände des Künstlers selbst. In den 1950er-Jahren, als die Kunstrichtung des Informel sich zu etablieren begann, haben sich die Künstler buchstäblich „frei“ gemalt. Sie wollten sich mit ihrer Kunst von jeglichen politischen Doktrinen lösen. Sie haben sich einer ungegenständlichen Malerei verschrieben, bei der sie in großen expressiven Gesten ihre Gefühle und Gemütszustände auf die Leinwand gebannt haben. Sie wollten das „Unbekannte“, wie Willi Baumeister es nannte, in der Kunst zum Ausdruck bringen.
Doch seit den 1950er-Jahren ist viel in der Malerei passiert. Ende des 20. Jahrhunderts, als das Internet groß wurde und die crossmediale Kunst in die Museen Einzug hielt, wurde in der Presse sogar von einem „Tod der Malerei“ gesprochen.
Dass das Medium der Malerei auch heute noch wichtig ist und als künstlerisches Ausdrucksmittel sowie als Auseinandersetzung mit der Welt zahlreiche unterschiedliche Ausprägungen annehmen kann, will die Ausstellung „Möglichkeiten von Malerei“ im Märkischen Museum Witten zeigen. Deshalb hat das Museum sechs Künstlerinnen und Künstler eingeladen, je einen Raum zu gestalten.
Sechs Positionen der zeitgenössischen Malerei
Mit den zeitlichen Faktoten der Malerei, der Mischung von Farben beim Auftragen und den differenzierten Wirkungen innerhalb der Wahrnehmung des Betrachters setzen sich die beiden Künstler Marta Guisande und Stephan Baumkötter auseinander. Die Bilder der Kölner Künstlerin Marta Guisande (geboren 1965 in Sevilla, Spanien) bergen ein komplexes Gefüge aus Farbe und Struktur. Auf der Suche nach innerbildlicher Stimmigkeit und Selbstverständlichkeit baut sie Ihre Arbeiten Schicht für Schicht auf. In vielen Arbeitsschritten bringt sie Farbe auf, nimmt sie teilweise wieder ab, fügt neue Strukturen hinzu und kratzt in die Oberfläche. Ihre Arbeiten sind einem fortwährenden Wandel unterzogen, dessen Ende offen ist. Durch das ständige Auftragen und Freilegen der Farbe erzeugt Marta Guisande eine stumpfe, offenporige Oberfläche. Ihre volle Kraft erzeugen die Gemälde bei näherem Betrachten selbst. Sie scheinen von innen heraus zu atmen, gleichsam leuchten die Pigmente aus sich selbst heraus.
Stephan Baumkötter, 1958 in Münster geboren und Professor für Malerei an der Hochschule für Künste in Bremen, sagt selbst über seine Arbeiten, dass die Zeit bei ihnen eine zentrale Rolle spielt. Dabei sind nicht nur die unzähligen Stunden gemeint, die zur Herstellung seiner Werke notwendig sind, sondern auch die Zeit, die der Betrachter braucht, um die Tiefe der Gemälde erfassen zu können. Baumkötters Arbeiten verweigern eine eindeutige Zuordnung. Der Künstler trägt die Farbe in Form von Ölstiften in unzähligen Schichten übereinander auf. Dabei vermischen sich die Farben miteinander und bilden einen geschlossenen Farbkörper. Eine genaue Farbigkeit lässt sich am Ende nicht mehr definieren. Scheinen seine Arbeiten auf den ersten Blick monochrom zu sein, ist es doch eine Malerei jenseits der Monochromie. In der Oberfläche schimmern die darunterliegenden Schichten durch. Erst mit der Zeit und der Bewegung des Betrachters im Raum lassen sich die Differenzierungen der Farbigkeit, die Tiefe der Malschichten und die verschiedenartigen Oberflächen erkennen.
Auch die Künstlerin Evelina Velkaite, 1982 in Litauen geboren und im Ruhrgebiet lebend, lotet unterschiedliche Möglichkeiten aus, welche ihr die Malerei bietet. Das zentrale Thema ihrer Arbeiten ist die Landschaft. Ihre farbintensiven und flächenreduzierten Gemälde rufen Assoziationen an landschaftliche, architektonische und naturhafte Strukturen und Motive hervor. Sie sind aber keine reinen Abbilder, sondern changieren zwischen erkennbarem Motiv und freien malerischen Ausdrucksformen. Mit souverän gesetzten Pinselstrichen bringt Evelina Velkaite ihre Sujets auf die Leinwand. Ihre Arbeiten zeigen Momente des Spontanen und Unmittelbaren, aber auch des bewusst Fragmentarischen und scheinbar Unvollendeten. Zeigen die Stadtlandschaften noch einen Kontrast zwischen flächenhafter Farbfeldmalerei und zeichnerischen, linearen Gebilden, so ist der Umgang mit der Farbe in den neuen Landschaftsassoziationen sehr frei. Schnell gesetzte Pinselstriche bilden naturhafte Formen aus, die beim Betrachter Eindrücke von Weite und Leere hinterlassen.
Auch die vier großformatigen Arbeiten von Stefan à Wengen erzeugen beim Betrachter einen Eindruck von Stille und eventuell sogar Melancholie. Der 1964 in der Schweiz geborene und in Düsseldorf lebende Künstler setzt sich hier mit einer kunsthistorischen Referenz und auch mit den eigenen Kunsterlebnissen der Kindheit auseinander. Ende des 19. Jahrhunderts schuf der ebenfalls aus der Schweiz stammende Künstler Arnold Böcklin fünf Versionen des Motivs der „Toteninsel“, wovon eine im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. À Wengen hat die berühmten Gemälde Böcklins als Ausgangspunk gewählt und sie in veränderter Form und in seinem eigenen Stil neu gemalt. Die in der Ausstellung gezeigten vier Versionen der vier erhaltenen Arbeiten Böcklins von Stefan à Wengen sind alle im gleichen Format – 180 x 260 cm – gemalt. À Wengen nimmt jegliche Farbigkeit aus der Vorlage und reduziert das Motiv auf die Insel mit ihrer Vegetation und Architektur. Die in Böcklins Gemälden vorhandene Totenbarke mit dem Fährmann lässt er weg. À Wengen setzt sich bei diesen Arbeiten mit autobiografischen Elementen – so hat er Böcklins Werk in Kindertagen in der Kunsthalle Basel kennengelernt –, mit Komponenten der Kunstgeschichte, die sein Werk beeinflussen, mit sentimentalen Bilderinnerungen wie auch mit Bildern des kollektiven Gedächtnisses auseinander.
Die Hamburger Künstlerin Caroline von Grone, geboren 1963 in Hannover, verfolgt in ihren Serien zu Themen der Porträtmalerei oder der Stadtlandschaft immer auch einen konzeptuellen Ansatz. Dem Betrachter begegnen in der Ausstellung Porträts aus mehreren Serien. Ihre Motive findet Caroline von Grone durch die Beobachtung und die Auseinandersetzung mit den Menschen vor Ort. Ihre Porträts entstehen in direkter Konfrontation zu dem Dargestellten. Dabei versucht die Künstlerin, die Atmosphäre der Person einzufangen. Sie ist an einer aus der Malerei entwickelten Auflösung oder Fragmentierung der Figuren interessiert und versucht, die Realität des Individuums durch die Realität der Farbe zu unterstreichen. Die Serie „Double Reflection“, welche die Künstlerin seit 2014 fortlaufend weiterführt, beruht auf einem doppelten Wahrnehmungsprozess. Pro porträtierter Person werden jeweils zwei Bilder angefertigt: eines nach dem Modell gemalt sowie eine Skizze, die nach einem Foto entsteht. Bezeichnend ist der Unterschied zwischen den beiden Darstellungsprozessen, zwischen Präsentation und Repräsentation. Das beobachtete Porträt, das Caroline von Grones eigenwillige und farbig intensive Handschrift trägt, erscheint individuell und vielschichtig. Die nach dem Foto gefertigte Ölskizze wirkt mit ihren andeutenden und konturierenden Linien distanzierter.
Die radikalste Position in der Ausstellung nimmt wahrscheinlich Sebastian Dannenberg ein. Für den 1980 in Bottrop geborenen und in Bremen lebenden Künstler bilden die räumlichen und skulpturalen Interventionen den Ausgangspunkt seiner Arbeit. Er versucht Malerei dort zu zeigen, wo sie eigentlich nicht vorgesehen ist. Seine Arbeiten thematisieren die vorgefundene Architektur und beschreiben die Begrenzungen des gebauten Raumes. Mit einfachen Materialien wie Leuchtstoffröhren, Gips- und Stahlplatten und Lackmalerei auf der Wand lässt er Werke entstehen, die in ihrer Konstruktion für den Betrachter wiedererkennbar und nachvollziehbar sind. Gleichzeitig rufen seine Arbeiten Irritationen hervor, indem sie den Raum physisch versperren oder auf Fehlstellen und Besonderheiten der Architektur hinweisen.
Auf einen Blick
Ausstellung: Möglichkeiten von Malerei
Zeitraum: bis zum 15. April 2018
Ort/Adresse: Märkisches Museum Witten
Husemannstraße 12, 58452 Witten
T +49 (0)2302 581-2550
Öffnungszeiten: Mi, Fr, So 12.00–18.00 Uhr, Do 12.00–20.00 Uhr
E-Mail: maerkisches-museum@stadt-witten.de
Internet: www.maerkisches-museum-witten.de
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