Das Thema Schlaf fasziniert seit jeher Künstlerinnen und Künstler. Die zahlreichen ungelösten Rätsel und Geschichten, die sich um diesen unbewussten Zustand ranken, waren und sind bis heute Motiv für unzählige Kunstwerke. 70 davon stehen noch bis zum 4. Februar 2018 im Fokus der Ausstellung im Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen.
Scheinbar ungleiche Paare wie Gustave Courbet und Andy Warhol, Edvard Munch und Martin Eder oder Sophie Calle und Ernst Barlach begegnen sich und treten in einen Dialog. Die internationalen Leihgaben reichen vom klassischen Gemälde über die Fotografie bis zur Performance und stellen in unserer rastlosen Gesellschaft ein Zeugnis und Plädoyer für den Schlaf als produktive Zeitverschwendung dar.
Allein in den Bremer Sammlungen befinden sich drei Gemälde der Malerin Paula Modersohn-Becker, die das Thema Schlaf aufgreifen: die liegende Mutter mit Kind, der schlafende Otto Modersohn und ein friedlich schlummernder Säugling. Diese Kunstwerke waren es, die den Anstoß für die Sonderausstellung gaben – und die erstaunliche Tatsache, dass dieses Motiv bisher noch in kaum einer Kunstausstellung in Deutschland behandelt wurde. Dabei ist es offensichtlich, dass der Schlaf für Künstlerinnen und Künstler über die Grenzen der Jahrhunderte und Genres hinaus eine große Inspiration war. Die Sonderausstellung betrachtet den Schlaf in der Kunst aus fünf thematischen Perspektiven.
Da gibt es zuallererst den privaten Schlaf. Viele Betten und Kissen bilden das Umfeld für die Schlafenden in den Kunstwerken von Gustave Courbet, Johannes Hüppi oder Andy Warhol. Meist handelt es sich um friedlich schlummernde Personen aus dem persönlichen Umfeld des Kunstschaffenden. Der eigene Ehemann oder Partner, auch viele Kinder und unbekannte Schöne füllen die Bildräume und vermitteln ein Gefühl von Geborgenheit, aber auch Fragilität.
Weniger gemütlich und flüchtig erscheint dagegen die Fotografie der erschöpften Ziehleute, die Friedrich Seidenstücker in den 1930er Jahren in einer Berliner S-Bahn aufgenommen hat. Dieses Werk erzählt zwar von einem anderen Schlaf als die Skulptur der Vagabunden von Ernst Barlach, doch der gemeinsame Nenner dieser beiden und weiterer Arbeiten ist der Schlaf im öffentlichen Raum. Ein gesellschaftliches Thema, das schon Erntearbeiter oder Heimatlose im 19. Jahrhundert betraf und auch heute noch in Zügen, Hauseingängen oder Parks gegenwärtig ist.
Von der Realität abgekoppelt scheinen die Arbeiten, die sich dem Schlaf von der märchenhaften Seite nähern. Sie zeigen zum Beispiel Dornröschen, die in einen ewigen Schlaf gelegt wurde, um auf den erweckenden Kuss eines Prinzen zu warten; Heinrich Vogeler und Paula Modersohn-Becker ließen sich von diesem Märchen zu Kunstwerken inspirieren. Annelies Štrbas Fotoarbeiten hingegen erinnern eher an Alice im Wunderland und eröffnen eine traumhafte Zwischenwelt, die auch von Gerhard Marcks‘ Schlafwandlerin (1919) beschritten wird.
Dem erotischen Schlaf ist ein weiteres Kapitel gewidmet. Viel nackte Haut und zerwühlte Laken finden sich in den intimen Kunstwerken, die unter anderem von Félix Vallotton, William Copley und Martin Eder ausgestellt werden. Die Geschichte dieser Bilder ist vor allem das, was mit den Betrachtenden passiert: Die nackte, schlafende Schönheit weckt den Voyeur in jedem von uns – denn wer schläft, bemerkt die Blicke nicht.
Eine Reihe von Exponaten beschäftigt sich mit dem Selbstbildnis im Schlaf. Der Performancekünstler Virgile Novarina aus Frankreich erforscht in seinen Aktionen die unbewusste Seite des Schlafs und lässt das Publikum am Eröffnungstag der Ausstellung live daran teilhaben. Auch die Künstlerin Ulrike Rosenbach legte sich für die Videoaktion Zehntausend Jahre habe ich geschlafen (1977) vor der Kamera zur Ruhe. In diesen Arbeiten teilen die Kunstschaffenden einen überaus persönlichen Lebensbereich und gehen dabei dem Wesen des Schlafs im Selbstversuch auf den Grund.
Die Unterschiedlichkeit der Kunstwerke in der Ausstellung ist der Beleg für die individuelle Beziehung, die jeder Mensch zum Schlaf hat. Es kann nicht die Rede von dem einen Schlaf sein. Dennoch hinterlässt die Ausstellung – vor allem in Zeiten von Schlafphasenweckern und Effizienzsteigerung – eine verbindende Erkenntnis: Schlaf ist Fakt.
Auf einen Blick
Ausstellung: Schlaf. Eine produktive Zeitverschwendung
Zeitraum: bis zum 04. Februar 2018
Ort/Adresse: Museen Böttcherstraße, Paula Modersohn-Becker Museum,
Böttcherstraße 6–10, 28195 Bremen
T +49 (0)421 33882-22
F +49 (0)421 33882-33
Öffnungszeiten
dienstags bis sonntags, 11–18 Uhr
montags geschlossen
E-Mail: info@museen-boettcherstrasse.de
Internet: http://www.museen-boettcherstrasse.de
Eintrittspreise
Einzeltickets: 8 €, ermäßigt 6 €
Kinder bis 17 Jahre: frei
Gruppen ab 10 Personen: 6 € pro Person
Gruppenführung: 60 € zzgl. Eintritt
Schulklassen: frei
Katalog
Schlaf. Eine produktive Zeitverschwendung
Herausgegeben von Dr. Frank Schmidt (Museen Böttcherstraße, Bremen).
Mit Texten von Thea Herold, Lena Nievers und Frank Schmidt.
Buchhandelspreis (bei Bestellung) 29,80 € inkl. Versand
144 Seiten
Museumsausgabe:
ISBN 978-3-943818-03-1
Buchhandelsausgabe:
ISBN 978-3-86442-218-8
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