Was ist das: Malerei? Woraus besteht sie überhaupt? Und was leistet sie, was sonst kein künstlerisches Medium vermag? Solche Fragen verlangen von dem, der dieses Metier tagtäglich ausübt, ein entschiedenes
Bekenntnis …
An einem Sonntagnachmittag in Düsseldorf-Flingern im Atelier, umgeben von den Bildern aus verschiedenen Werkgruppen und Zeiten. Jochen Mühlenbrink springt auf, eilt zum Regal. Er kommt mit einem älteren Katalog zurück. Er schlägt die erste doppelseitige, bis an den Rand reichende Abbildung auf: „Landauswärts“, gemalt mit Ölfarbe auf MDF-Platte, 80 x 140 cm, aus dem Jahr 2008. Ein sattes, stückweise wie sonnenbeschienenes Grün überzieht in mehreren Lagen die Fläche, dazwischen sind vertikal ausgerichtete Bahnen in Brauntönen auszumachen. Die Grünpartien verschmelzen mitunter, dann wieder lösen sie sich in lockere Fetzen auf, zwischen denen dunkle Zusammenballungen hervorbrechen. Einzelne, sich überlagernde grüne Pinselsetzungen tropfen vom oberen Rand herab, wie eine Begrenzung des Sichtfeldes. Rechts unten dann konkretisiert sich der Eindruck von Vegetation und Wald weiter: Dort steigt eine asphaltierte Straße ein Stück an und verschwindet in einer Linkskurve im Grün. Streckenweise ist die Straße in die unruhigen Schatten von Blattwerk getaucht. Am Straßenrand steht ein gelbes Schild, durch das eine rote Diagonale führt: Ende einer Ortschaft. Ab jetzt gibt es nur noch den Wald, gesehen wie durch eine Autoscheibe oder, stattdessen, wie im Rückspiegel. – Alles Illusion! Jochen Mühlenbrink deckt mit der flachen Hand den rechten unteren Bereich zu: „Wenn das hier fehlt, dann wird das Grün sofort abstrakt. Also das ist doch einfach Farbe, nichts weiter als grüne Farbe, mit dem Pinsel auf eine Fläche aufgetragen …“
Organisation im Großen und Unruhe im Mikrokosmos
Im Hinblick auf seine heutigen Bilder bezeichnet Jochen Mühlenbrink diese Serie – „Asphalt“ – als Initialzündung. Von hier aus wechselt er von der malerischen Erzählung ganz zu einer konzeptuell gesättigten Malerei. Noch realistischer und ausgesprochen sachlich gemalt, führen diese neueren Bilder vor Augen, woraus eben ein Bild besteht – z.B. aus einer Leinwand, die mit Farbe bedeckt und auf Keilrahmen aufgespannt ist – und dass alle Strukturierung doch nur Teil einer Fläche ist. Um dieses Paradoxon zu entmystifizieren und überhaupt für das Sehen zu sensibilisieren, schafft Jochen Mühlenbrink Illusionen, bei denen man von trompe-l’œil-Malerei sprechen kann. Vorgetragen virtuos augentäuscherisch. Also mit einer konventionell abbildenden Malerei hat Jochen Mühlenbrink nichts am Hut.
Doch der Reihe nach. Bereits bei „Asphalt“, um 2008, liegen wesentliche Prinzipien auch der jüngeren Malerei vor. Das betrifft schon die vibrierende Spannung der vermeintlich ereignislosen Fläche. Ihre hochgradige Nervosität beruht noch auf der Konfrontation von Fülle und Leere. Außer im malerischen Zusammenspiel erreicht dies Mühlenbrink in der Trennung von Rand und Innenfeld, also Außen und Innen, Weite und Enge. Damit gehen Ordnung und Chaos einher: als Organisation im Großen und Unruhe im Mikrokosmos. Die Leere äußert sich bei Mühlenbrink auch im völligen Verzicht auf eine weitere malerische Ausstattung der Innenräume. Solche Maßnahmen führen zur atmosphärischen Aufladung. Viele der früheren Bilder halten eine Katastrophe fest, etwa als Feuersbrunst, einstürzendes Gebäude, Verkehrsunfall oder als Schneemasse, die alles unter sich begräbt. Eine bedrohliche Stimmung liegt aber schon in der lapidaren Schilderung einer Brandschutzmauer oder in einem kargen Zimmer vor, dessen Boden mit Bier- und Weinflaschen bedeckt ist, in den andererseits helles Licht flutet. Und trägt nicht auch die Szene im Wald einen Ton, als lauere hinter der Straßenkurve die Tragödie, trotz oder gerade wegen der augenscheinlichen Idylle?
Mühlenbrink hinterfragt zivilisatorische Phänomene und untersucht Behaustheit und Zurückgezogenheit, (architektonischen) Standort und Transit
Jochen Mühlenbrink wurde 1980 in Freiburg im Breisgau geboren. Er hat Malerei zunächst in San Francisco und dann an der Kunstakademie Düsseldorf studiert, wo er 2007 zum Meisterschüler von Markus Lüpertz ernannt wurde. Bereits während des Studiums erhält er Förderpreise und Stipendien und wird zu Ausstellungen eingeladen. In den letzten Jahren war er u.a. in der Shortlist zum boesner art award und wurde mit dem Internationalen Bergischen Kunstpreis ausgezeichnet. Seine Malerei ist von Anfang an vielschichtig gebrochen. Alles Gegenständliche, vorgetragen ebenso auf winzigen Tafeln wie riesigen, bis zu dreiteiligen Leinwänden, ist wie unterm Mikroskop beobachtet. Mühlenbrink hinterfragt zivilisatorische Phänomene und untersucht Behaustheit und Zurückgezogenheit, (architektonischen) Standort und Transit. In einem frühen Gemälde markiert ein zentriertes Fensterraster die Betrachterposition – Jahre später malt er die leeren Rückseiten aufgespannter Leinwände, und auch jetzt wird die Mittelachse, nun des Keilrahmens, zur Verortung und trägt zum räumlichen Bewusstsein bei.
Mühlenbrink hat diese Werkgruppe, die 2010 einsetzt, „Rohstoff“ betitelt. Ihre Bilder zeigen den Wandel in seinem Werk. Auch das sind klassische Gemälde, auch wenn sie „umgedreht“ nichts Sehenswertes zu zeigen scheinen. Sie „verraten“, was man sonst bei Ausstellungen nicht zu sehen bekommt. Ob darin nicht generell Hinweise auf die Vorderseite und ihr Sujet enthalten sind? Nur, was ist hier vorne und was ist hinten, und wann enthält die Vorderseite Hinweise auf die Rückseite, die doch die Vorderseite ist – und umgekehrt? Man möchte diese Leinwände instinktiv umdrehen, so plausibel wirken der Schatten von der Seite, die Verschattung der Tiefe, die perspektivischen Verkürzungen, aber auch die feinnervige Malerei des Leinwandgewebes. Dieses Sujet ist tatsächlich so vielfältig und variationsreich, dass Jochen Mühlenbrink es bis heute mit immer neuen Bildern hätte fortsetzen können. Viel mehr aber liegt ihm an einer Erweiterung seines Repertoires und einer weiteren systematischen Erkundung der Oberfläche.
So unternimmt er im nächsten Schritt die „Vortäuschung“ von Pappoberflächen bis hin zu (dreidimensionalen) Paketen in den Farben der Deutschen Bundespost. Jochen Mühlenbrink nickt: Auch hier ist alles gemalt. Natürlich weist eine solche konzentrierte und im Detail opulente Malerei nicht nur auf den Gegenstand ihrer Formulierung selbst, sondern auch auf die Traditionen: auf die Moderne der Abstrakten Malerei. Ganz wichtig für ihn ist das „Schwarze Quadrat“ von Kasimir Malewitsch, das tatsächlich kein exaktes Quadrat ist. Mühlenbrink hat es 2007 noch einmal gemalt. Eine besondere Rolle nimmt Piet Mondrian ein, der Klebestreifen in seine konstruktivistischen Bilder einbezogen hat. Mühlenbrink konterkariert dies geradezu: Seine eigenen farbigen Klebestreifen sind gemalt. Weiterhin malt er auf die Bildoberfläche Reihen kleiner Zeichnungen und Polaroids, die aufgesetzt, verrutscht, gewellt wirken. Als Parallele, die er bei diesen Ansammlungen indirekt zitiert, nennt er den „Atlas“ von Gerhard Richter. Eine Referenz im Verfahren, die eigenen Malereien en miniature wiederzugeben, liegt zu den „Katalogbildern“ von Klaus Merkel vor. Merkels Malerei auf weißen Leinwänden besteht aus winzigen Rekapitulationen der eigenen großformatigen Gemälde, die hier sozusagen als Archiv zusammengestellt sind.
Die Teufelei unseres Lebens liegt im Detail
Jedoch geht es Mühlenbrink um andere, ganz eigene Anliegen. Und es ist konsequent, dass er sein Konzept, das ja schon in der Illusion gestauchter Klebebänder und abstehender Enden von Kreppstreifen den plastischen Raum mitdenkt, gegen alle Erwartungen wieder aushebelt. Will heißen: Plötzlich ist die dritte Dimension wieder da. Er sucht das Foto einer Installation im Morat-Institut in Freiburg 2013 hervor, wo – vermeintlich – etliche mit Frankierlabeln und Klebebändern überzogene Kartonagen und Pressspanflächen voreinander lehnen. Es wirkt ein bisschen wie ein Verpackungslager. Auf dem Foto sieht man außerdem den Flur zu einem Fenster, durch welches ein Edeka-Schild lugt: Eine weitere Ebene der Vergegenwärtigung von Raum und räumlicher Abfolge. „Das war wirklich so“, sagt Jochen Mühlenbrink. Und dann zieht er im Atelier diese Malinstallation aus drei Tafeln aus seinem Bilderlager – also, nicht eine Partie, sondern drei – und fügt sie vor- und nebeneinander zur Einheit zusammen. Faktische Schichtung und illusionierte Schichtung verbinden sich. Der vertrauten Realität und selbst dem vorausschauenden Denken ist nicht mehr zu trauen. Man muss sich Zeit nehmen für diese Stillleben des Peripheren, die doch so viel über das Ungesicherte unserer Realität mitteilen. Die Teufelei unseres Lebens liegt im Detail. Jochen Mühlenbrinks Malereien könnten dazu beitragen, dass wir – hoffentlich – vorsichtiger werden im Umgang mit der vermeintlichen Wirklichkeit und erkennen, dass der genaue Blick nie schadet.
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