Buchtipp
Vita brevis, ars longa – aber wie?
Was tun mit Künstlernachlässen?
Niemand produziert gerne für das Vergessen, daher kümmern sich immer mehr lokale und regionale Initiativen um die Pflege von Künstlernachlässen – ein Thema, das unter Künstlern und Kunstvermittlern in Deutschland an Bedeutung gewinnt. Sie alle eint das Ziel, Nachlässe von Künstlerpersönlichkeiten für die Nachwelt zu erhalten. Ihre Strukturen und Arbeitsweisen sind jedoch unterschiedlich. Das spiegeln auch mehrere Publikationen, die die Materie beleuchten.
Das wachsende Interesse an der Gestaltung von Künstlernachlässen legt nahe, dass seit dem 20. Jahrhundert viele Künstler (zu) viele Kunstwerke produzieren. Ein Blick in die Geschichte jedoch offenbart, dass das Phänomen nicht neu ist.
Auch wenn heute viele Arbeiten die Zeit nicht überdauert haben, weiß man, dass es beispielsweise bereits im 17. Jahr – hundert künstlerische Überproduktion gab, als im „Goldenen Zeitalter“ der niederländischen Malerei viele Maler jedweder Qualität arbeiteten. Und auch aus dem 19. Jahrhundert, als die wachsende Zahl akademischer Ausbildungsstätten die professionelle Kunstproduktion förderte, sind trotz Kriegen und anderer Katastrophen mehr Werke überliefert, als der Kunst markt aufnehmen kann.
Das betont der Kunsthistoriker und Journalist Michael Zajons in seinem Essay „Die Kunst bleibt – aber wo? Künstlernachlässe als Herausforderung“ (www.kulturstiftung.de) und stellt fest: „Unabhängig davon, ob heute mehr und umfangreichere Künstlernachlässe überliefert werden als früher, (wird sich) jeder Künstler, der nicht zu den Glücklichen gehört (statistisch gesehen dürfte das im Promillebereich liegen), denen langanhaltende Kunstmarkt – erfolge vergönnt sind, (…) die Frage irgendwann stellen: Wie überlebt mein Werk mich selbst? Wer soll all die künstlerischen Arbeiten und Dokumente aus meinem Besitz künftig aufbewahren, mehr noch: so bewahren, dass nachfolgende Generationen meine Botschaft empfangen können?“
Ein Grund dafür, dass das Thema Künstlernachlässe im 21. Jahr – hundert in der öffentlichen Diskussion derart neuralgisch geworden ist, liegt in der Professionalisierung und Demokratisierung des Kunstschaffens, die bei den Akademien beginnt und beim Künstlerbedarf endet. Doch während auf der einen Seite immer mehr Kunst entsteht, sinken auf der Seite der Museen und Institutionen die Ressourcen, Nachlässe zu verwalten. Frank Michael Zeidler appelliert in seinem Buch „Das verlorene Bild“ daher zuvorderst an die Verantwortung der Künstlerinnen und Künstler dem eigenen Werk gegenüber und erinnert an die Last, die das Erbe eines solchen Nachlasses für die Nachkommen bedeuten kann. Niemand denkt gerne an den eigenen Tod, doch „jeder Gedanke über den persönlichen Nachlass, jedes Gespräch und jeder Hand – griff, der hilft, das Eigene zu sortieren, bereitet uns selbst und unseren Nachfahren einen unbeschwerteren Weg“, leitet er seine „Aufforderung zur Reflexion über Künstlernachlässe“ ein. Der Vorsitzende des Deutschen Künstlerbundes ist selbst seit 40 Jahren als Maler und Zeichner tätig und lagert gut 2.500 Arbeiten in seinem Atelier in Potsdam. Er weiß, dass es den einen Weg, mit dem Werk eines Künstlers umzugehen, nicht gibt, weil das Thema den grundsätzlichen Umgang mit der Kunst berührt. Sein Buch versteht Zeidler daher auch eher als Essay, der zum Nachdenken anregt, denn als Ratgeber. In seinen Überlegungen ordnet er die Problematik des Künstlernachlasses in das öffentliche Interesse am kulturellen Erbe ein und rüttelt mit Fragen nach der Einstellung zum eigenen Ich und zur eigenen Künstlerpersönlichkeit, zur Rolle des eigenen Schaffens und der Verdrängung des Todes auch an sehr persönlichen Seiten. Schließlich vermittelt er fundierte Anregungen dazu, wie ein Nachlass gestaltet werden kann. Eine hilfreiche Checkliste am Ende des Buches fasst die grundlegenden Gedanken zusammen, die sich jeder Künstler im Hinblick auf seinen Nachlass machen sollte.
Wenn hier in erster Linie die Künstler und ihre Nach – kommen gefordert sind, so ist doch auch die Öffentlichkeit gefragt, wenn es darum geht, Lebenswerke von Künstlerinnen und Künstlern vor dem endgültigen Verschwinden zu retten und sie zugänglich zu halten oder zu machen. Schließlich liegt es im Interesse der Allgemeinheit, „Künstlernachlässe als Teil unseres kulturellen Erbes zu schützen und zu bewahren“, stellte Kulturstaatsministerin Monika Grütters in ihrer Dankesrede an den BBK fest, der im Dezember 2015 ein Symposium zum Umgang mit Künstlernachlässen ausgerichtet hatte. Das aus dieser Veranstaltung hervorgegangene Kompendium „Anlass: Nachlass“ gibt nicht nur eine Übersicht über die bestehenden Vereine, Stiftungen und Institutionen und ihre jeweiligen Konzepte, es vergleicht sie auch in einer Expertise. Ergänzt wird diese Übersicht mit Informationen zum Stiftungs- und zum Urheberrecht, zur Erbschafts- und zur Schenkungssteuer, zum Umgang mit Finanzämtern, zur Digitalisierung und zu anderen Aspekten, die im Zusammen – hang mit der Bewahrung künstlerischer Lebenswerke von Interesse sind. Die Publikation gibt damit nicht nur für die Gründung weiterer Initiativen und Konzeptionen ein hilfreiches Instrumentarium an die Hand, sondern bietet Künstlerinnen und Künstlern darüber hinaus relevante Informationen, um den Erhalt ihres künstlerischen Nachlasses bereits zu Lebzeiten in die Wege zu leiten.
In elf Bundesländern gibt es mittlerweile Nachlassinitiativen, die das Symposium zum Anlass nahmen, an der Gründung eines „Bundesverbandes Künstlernachlässe“ zu arbeiten. Feder – führend ist dabei u.a. das „Forum für Künstlernachlässe e.V.“ (www.kuenstlernachlaesse.de), das 2003 in Hamburg gegründet wurde. Weil immer mehr Künstlernachlässe auseinandergerissen und in alle Winde zerstreut werden, bevor sie in ihrer Gesamtheit erfasst werden können, verknüpft es die Arbeitsfelder Archiv, Museum, Ausstellungshaus und Forschungsstelle und hat es sich zur Aufgabe gemacht, künstlerische Nachlässe zu sichern, aufzuarbeiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
„Jenseits von Mainstream und von Moden entstehen immer wieder existenziell bedeutende Werke, die zeitweise gesehen und manchmal wieder vergessen werden. Das Archiv für Künstlernachlässe der Stiftung Kunstfonds bewahrt diese künstlerischen Lebenswerke, wesentliche Positionen der Gegenwartskunst, und erhält wichtige Zeugnisse unseres kulturellen Erbes“, erläuterte Bogomir Ecker, Vorstand der Stiftung Kunstfonds, anlässlich der Eröffnung des Künstler- Nachlass-Archivs dessen Ziele (www.kunstfonds.de). Allerdings sind die Depotflächen des Pulheimer Archivs wie überall in Deutschland endlich. Derzeit bewahrt es lediglich 34 Nachlässe.
Auch diese Institutionen und Vereine können also nicht auffangen, was Museen und öffentliche Sammlungen nicht mehr zu leisten imstande sind, weil sie mit Schenkungen und Nachlässen längst an ihre personellen, räumlichen und finanziellen Grenzen stoßen. Nachzulesen ist das in dem Tagungsband „Was bleibt – Konzepte für den Umgang mit Künstlernachlässen“, der vom Künstlerbund Baden-Württemberg heraus gegeben wird. Die Beiträge von Kunsthistorikern wie Wolfgang Ullrich, Museumsdirektoren wie Pia Müller-Tamm und Uwe Degreif, aber auch von Künstlern und Juristen werden durch wichtige Adressen für eine weiterreichende Auseinandersetzung mit dem für Künstlerinnen und Künstler existentiellen Thema ergänzt. Grundsatzfragen etwa über die Grenzen des Nachlasses weisen auch hier wieder zurück auf den Künstler und seine Erben: Was soll erhalten bleiben? In welcher Weise? Um sich dieser Fragestellungen bewusst zu werden, wurden die Mitglieder des Künstlerbund Baden- Württemberg nach einer exemplarischen Bildarbeit befragt, die nach ihrer subjektiven Meinung der Nachwelt erhalten bleiben sollte. Das Ergebnis ist in dem Band zu sehen. Ein erster wichtiger Schritt in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Nachlass, denn „eine volle Garage ist noch kein An – gebot“, warnt Thomas Köhler, Direktor der Berlinischen Galerie. „Einmal pro Monat erreicht uns ein Angebot, aber es ist nicht die Aufgabe eines Museums, alles aufzubewahren. Es wäre auch illusorisch, zu glauben, dass noch Platz für größere Konvolute an Leinwänden oder gar Skulpturen vorhanden sei.“ (zitiert nach Tim Ackermann: „Ist das was wert – oder kann das weg?“ in: Die Zeit 6/2016 vom 4.2.2016) Ideal sind in seinen Augen gut geordnete Hinterlassenschaften, die einen inhaltlichen Bezug zum Haus haben.
Häufig sind Künstler, vor allem aber auch ihre Nachkommen mit der Aufgabe überfordert, den Nachlass zu sortieren und zu komprimieren. Seit einigen Jahren engagieren sich daher auch Galeristen verstärkt für die Arbeit mit Nachlässen – nicht zuletzt, weil hier ein lukratives Geschäftsfeld winkt. „Der Markt hat die Nachlässe entdeckt“, diagnostiziert Loretta Würtenberger, die mit ihrem Unternehmen „Fine Art Partners“ seit vielen Jahren Künstler und Künstlernachlässe bei Aufbau und Entwicklung von Nachlasskonzepten sowie in operativen Fragen berät. „Diese Tendenz ist das Ergebnis des starken Markts für zeitgenössische Kunst in den letzten zehn Jahren. Mittlerweile haben die Galerien in diesem Bereich Nachschubprobleme. Deshalb suchen sie nach neuen Quellen, die sie erschließen können.“ (zitiert nach Tim Ackermann, a.a.O.) Die Arbeit mit Nachlässen signalisiere zudem eine Öffnung zum Sekundärmarkt, der für die Großgalerien zunehmend wichtig werde. In ihrem Handbuch „Der Künstlernachlass“ vertritt auch Würtenberger die These, das zur posthumen Bewahrung und Entwicklung des künstlerischen Erbes die passende Nachlassstruktur von entscheidender Bedeutung ist und stellt den möglichen rechtlichen Gestaltungsrahmen, passende Finanzierungsmodelle sowie den richtigen Umgang mit Markt, Museen und Wissenschaft vor. Anhand zahlreicher internationaler Beispiele, etwa der Rainer Judd Foundation, The Estate of Martin Kippenberger, The Estate of Max Beckmann oder The Henry Moore Foundation, erläutert die Autorin die verschiedenen Varianten zur Betreuung eines Künstlernachlasses und gibt Handlungsempfehlungen, wie heute nach dem Ableben eines Künstlers mit Arbeit, Archiv und An denken idealerweise zu verfahren ist.
Wie verschafft man einem Künstlernachlass Geltung? Wie platziert man ihn am Markt? Oder im Museum? Die Antworten darauf sind so individuell wie die Kunstwerke, die der Nachwelt erhalten bleiben sollen. Fragen wie diese sollten sich Künstler daher am besten schon zu Lebzeiten stellen, wenn sie eine tragfähige Lösung für ihren Nachlass anstreben.
Buchempfehlungen
Der Künstlernachlass
Handbuch für Künstler, ihre Erben und Nachlassverwalter
Loretta Würtenberger (Hrsg.), 295 S. m. 27 Abb., 16,5 x 23,8 cm, brosch., dt.
Hatje Cantz 2016,
ISBN 9783775741323
EUR 29,80 (D), CHF 37,40 (CH)
Was bleibt
Konzepte für den Umgang mit Künstlernachlässen.
Symposium des Künstlerbundes Baden-Württemberg
Künstlerbund Baden-Württemberg e.V. (Hrsg.)
240 S. m. 254 farb. Abb., 15 x 21 cm, Flexcover, dt.
modo Verlag 2014
ISBN 9783868331707
EUR 24,00 (D)
Das verlorene Bild
Eine Aufforderung zur Reflexion über Künstlernachlässe
Frank Michael Zeidler
168 S. m. 14 Abb., 16,5 x 22,5 cm, brosch., dt.
modo Verlag 2016
ISBN 9783868331943
EUR 24,90 (D),EUR 25,60 (A)
Kommentare sind geschlossen.