Die Berliner Künstlerin Henrieke Ribbe malt einfühlsame Porträts und Stillleben. Ihr bisher größtes Projekt:
100 Porträts von den Mitarbeitern des
Berliner Clubs „Kater Holzig“.
Ein Montagmittag in Berlin-Mitte. Henrieke Ribbe empfängt uns in ihrer gemütlichen Wohnküche im fünften Stock eines typischen Berliner Mietshauses. Doch bevor es ins Atelier zu den Bildern geht, serviert uns die Künstlerin erst einmal eine frisch gekochte, kräftige Suppe und anschließend Espresso. An einem kalten Spätherbsttag ist das genau die richtige Stärkung. „Ich habe schon immer gern gemalt“, sagt die 1979 geborene Künstlerin. „Schon als Dreijährige wusste ich, dass ich Künstlerin werden wollte.“ Der Weg dorthin führte sie aus der niedersächsischen Gemeinde Hämelerwald im Großraum Hannover zunächst an die Hochschule für Bildende Künste (HFBK) am Hamburger Lerchenfeld. Hier studierte Henrieke Ribbe von 1999 bis 2005 bei Achim Hoops und Gunter Reski sowie in der Klasse für freies Zeichnen von Alexander Roob. Im Jahr 2005 machte sie dann ihr Diplom bei Werner Büttner. Bereits früh stellte sie in von Künstlern organisierten Off Spaces aus. So auch in dem von einem Künstlerkollegen betriebenen, heute legendären „Ausstellungsraum Taubenstraße 13“ nahe der Reeperbahn. Hier zeigte sie unter anderem ihr monumentales Gemälde „Alle für Alle“, ein 3,5 x 4,3 Meter großes Gruppenbild mit Mitstudenten und Freunden. Ein malerisches Statement, das sie schon zu Studienzeiten schlagartig in der Hamburger Szene bekannt machte.
Gleichzeitig formierte sich auch das Künstlerinnenkollektiv „3 Hamburger Frauen“. Das 2004 gegründete Trio ist bis heute aktiv. Die drei an der HFBK ausgebildeten Malerinnen Ergül Cengiz, Henrieke Ribbe und Kathrin Wolf treffen sich in unregelmäßigen Abständen, um in Galerien, Institutionen, bei Privatsammlern oder im Außenraum temporäre Wandgemälde zu realisieren. Jede der drei übernimmt dabei einen ganz bestimmten Part: Henrieke Ribbe selbst ist für die Figuren, Ergül Cengiz für die dargestellte Dingwelt und Kathrin Wolf für die ornamentalen Hintergründe zuständig. Das Konzept für die Gemälde entsteht gemeinsam. In der Regel sind die „3 Hamburger Frauen“ selbst die Protagonistinnen ihrer Wandgemälde: in exotischen Kostümen, als streitbare Amazonen oder als tourende Bandmusikerinnen. In diesen selbstbewussten Inszenierungen von Weiblichkeit wird die großstädtische Verruchtheit der Goldenen Zwanziger ebenso zitiert wie das neue Selbstbewusstsein, mit dem Künstlerinnengruppen wie etwa die 1985 gegründeten New Yorker „Guerilla Girls“ dem männlich beherrschten Kunstbetrieb die Stirn bieten.
In einem 2013 erschienenen Katalogtext brachte ihr Künstlerfreund und ehemaliger Professor Gunter Reski die Aktivitäten des Trios auf den Punkt: „Ohne es referenziell an die große Glocke hängen zu müssen, werden hier Kunstgeschichte und Postfeminismus indirekt in die Stil-Mangel genommen.“
Wie ihre beiden Mitstreiterinnen verfolgt Henrieke Ribbe jedoch auch ihre Einzelkarriere. 2005 brach sie für einen Postgraduiertenaufenthalt an der Staatlichen Kunsthochschule in Oslo nach Norwegen auf. 2006 zog sie zusammen mit ihrem Mann, dem Musiker und DJ Jake the Rapper, nach Berlin. Der Amerikaner hatte ebenfalls am Hamburger Lerchenfeld Kunst studiert. „Der Umzug nach Berlin war nach dem Studium ein Neuanfang“, sagt Henrieke Ribbe in der Rückschau. „Ich kannte nicht so viele Leute hier. In der Anonymität der Metropole fühlte ich mich wohl und habe viel Zeit im Atelier verbracht. Es gab weniger Ablenkung. So konnte ich mich voll auf meine Arbeit konzentrieren. Es war eine sehr produktive Zeit.“
Porträts und Stillleben stehen im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Seit 2004 malt sie jedes Jahr in den Sommermonaten die Motive für den Wandkalender einer auf fremdsprachige Titel spezialisierten Buchhandlung. Häufig sind es Porträts von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die nach Fotovorlagen entstehen. Henrieke Ribbe bereitet sich auf diese Porträts intensiv vor, indem sie in den Büchern und Biografien der Autoren recherchiert.
Ob sie nun nach Fotografien malt oder lebende Modelle im Studio empfängt – Henrieke Ribbe kann beiden Ansätzen etwas abgewinnen: „Beim Abmalen vom Foto kann ich mir mehrere Übermalungen leisten und bin in einer intimen Malsituation. Die Auseinandersetzung wird intensiver. Beim Malen vom Modell guckt mir auch immer jemand über die Schulter, ich bin nicht allein im Atelier, so entsteht auch ein gewisser Zeitdruck, weshalb meist der Hintergrund weiß bleibt. Die Malerei ist spontaner, unkontrollierter, aber auch überraschend und frisch.“
In den Jahren 2013 bis 2014 entstand Henrieke Ribbes bisher größtes Projekt, die „Katerfamilie“. Die Serie umfasst 100 Porträts von Mitarbeitern des Berliner Clubs „Kater Holzig“.
In Henrieke Ribbes Studio in der Prenzlauer Allee kamen nach und nach die unterschiedlichsten Mitarbeiter des Clubs: DJs und Barfrauen, die Booker, die fürs Programm zuständig sind, die Köche, das Reinigungspersonal, Büroleute, sogenannte „Runner“, das sind die Leute, die die leergetrunkenen Flaschen von der Tanzfläche einsammeln und die Kühlschränke wieder auffüllen, Grafiker und weitere Mitarbeiter, eben die ganze wild zusammengewürfelte „Katerfamilie“.
„Ich empfand diese Gespräche während des Sittings wie eine Oase der Stille im hektischen Alltag – das ist etwas anderes, als mal schnell ein Selfie mit dem Handy zu machen.“
Während der auf 120 Minuten begrenzten Porträtsitzungen entwickelten sich oft intensive Gespräche über Herkunft, Wünsche und Träume der Porträtierten. „Ich habe viel in den zwei Stunden über die Porträtierten erfahren, woher sie kamen, warum sie von zu Hause weg sind, und nun in Berlin diese Ersatzfamilie, die die Clubmitarbeiter füreinander sind, für sich gefunden haben“, so Henrieke Ribbe. So sei sie allmählich „selbst Teil der Katerfamilie geworden.“
Die besondere Atmosphäre der Porträtsitzungen beschreibt Henrieke Ribbe so: „Ich empfand diese Gespräche während des Sittings als eine Oase der Stille im hektischen Alltag – das ist etwas anderes, als mal schnell ein Selfie mit dem Handy zu machen. Mein persönlicher Vorteil des Blind Dates im Studio war mit Sicherheit das Überwinden der Prokrastination: Um 11 Uhr kommt jemand, und dann wird gemalt! Es passt außerdem auch zu meinem Konzept, dass die Kunst sich meinen Lebensumständen anpassen muss“, so die zweifache Mutter.
Die Katerporträts sind dabei so etwas wie ein gemaltes Soziogramm der Berliner Club- und Subkultur: Das Abbild einer offenen, nicht normierten Gesellschaft voller individueller Persönlichkeitsentwürfe. An den 100 Porträts vor neutralem, weißem Hintergrund lassen sich die Kleidermoden, Bartstile, Tattoo-Muster, Haarfarben, Brillenmodelle, Frisuren und Accessoires einer ganz bestimmten Epoche ablesen. Sie ist also ein Spiegel der Zeit und der weltweit berühmten Berliner Clubszene. Der Club „Kater Holzig“ musste seinen früheren Standort jedoch verlassen. Heute firmiert er unter dem neuen Namen „Kater Blau“ an einer anderen Adresse. Doch bald kehrt er auf sein altes Grundstück zurück – dort ist für die Zukunft geplant, die gesamte Werkserie dauerhaft zu zeigen. Ein besserer Ort lässt sich dafür kaum denken. Im Frühjahr 2015 war eine Ausstellung der gesamten „Katerfamilie“ bereits in Basel zu Gast.
Fragt man sie nach Künstlern und Künstlerinnen, die sie bei ihrer eigenen Arbeit inspirieren, nennt Henrieke Ribbe die New Yorker Malerin Alice Neel, die österreichische Künstlerin Maria Lassnig und die Hamburgerin Caroline von Grone. Auch von der skandinavischen Malerei, etwa von Edvard Munch, ist sie beeinflusst. Neben Porträts entstehen immer wieder auch Stillleben, die häufig biografisch gefärbt sind. So entstand eine Serie von Stillleben mit Motiven aus Arizona, wo Henrieke Ribbe im Haus ihrer verstorbenen Schwiegermutter, einer Malerin, fotografierte. Liebevolle Arrangements mit persönlichen Gegenständen, wie etwa asiatischen Antiquitäten auf einer Fensterbank, wählte sie später als Motive für ihre Malerei.
Warum sie mit Ölfarbe auf Leinwand malt, sich aber gleichzeitig dem digitalen Zeitalter gegenüber nicht verschließt, erklärt Henrieke Ribbe so: „Ich mag den Geruch und die Einreihung in diese jahrhundertealte Tradition und das Handwerk. Außerdem spiele ich mit der Erhöhung, der Aufwertung des Bildes, gebe dieses aber auch wieder zurück in die Bilderflut, in dem ich die gemalten Arbeiten ins Netz stelle oder auch mal in sozialen Netzwerken poste.“
Neben regelmäßigen Reisen in die amerikanische Heimat ihres Mannes ist jedoch Berlin der Mittelpunkt ihres Lebens und ihrer künstlerischen Tätigkeit. Zu der Stadt macht sich Henrieke Ribbe ihre ganz eigenen Gedanken: „Die Dichte an Ausstellungen und Künstlern gibt einem manchmal das Gefühl, überflüssig zu sein. Auf der anderen Seite, wenn man hier sagt, man ist von Beruf Künstler, ist das total normal. Da fragt niemand, ob man auch davon leben kann. An der Stadt liebe ich die einmalige Techno- und Clubszene, und auch eben dieses Gefühl, abtauchen zu können, ohne dass jemand einen vermisst.“ Letzteres dürfte sich allerdings als Illusion erweisen. Henrieke Ribbe ist zehn Jahre nach ihrer Ankunft in der Stadt längst zu einem festen Bestandteil der Berliner Kunstszene geworden.
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