Draußen ist es nass und ungemütlich, und wie in jedem Herbst stellt man mitunter fröstelnd fest, dass die Garderobe doch nicht ganz den meteorologischen Anforderungen entspricht … Den goldenen Oktober hat der November abgelöst, dessen prominentester Vertreter der Wind zu sein scheint: Er wirbelt die Blätter von den Bäumen, pfeift im Kamin und bläst um die Straßenecken.
Seit jeher gilt diese bemerkenswerte Kraft der Natur auch als Herausforderung der künstlerischen Virtuosität. Der Wind kommt in der Kunst als sanft-bewegender Hauch, als steife Brise oder zerstörerische Kraft daher, kündet von menschlichen Stimmungen, von Schicksalen und drohenden Gefahren. In der griechischen Mythologie sind es gleich mehrere Götter, die sich die Aufgaben des Windes teilen, der Westwind Zephyr geleitet auch Botticellis Venus an zyprische Gestade. Leonardo da Vinci studierte den Wind mit wissenschaftlichem Blick, und in den Werken William Turners oder John Constables ist er nicht selten der wichtigste Protagonist. Der Wind hat viele gute Seiten: Er kann im individuellen Empfinden sehr erfrischend sein und den Kopf frei machen für neue Ideen. Rückenwind bringt nicht nur Segelschiffe erst richtig in Fahrt, er befördert auch im übertragenen Sinne viele Dinge. Ich habe festgestellt: Wenn etwas gelingen soll, klappt es meist von Anfang an. Der erste Anruf erreicht den richtigen Ansprechpartner, der Einstieg stellt die Weichen für das Gelingen eines Textes, der erste Strich sitzt mit exaktem Schwung an der richtigen Stelle – mit sprichwörtlichem Rückenwind geht alles wie von selbst.
Doch nicht immer läuft es so glatt. Manchmal kann man sich nur schwer zu einem Vorhaben durchringen, schiebt es auf die lange Bank, findet keinen Anfang oder nicht in den richtigen Fluss. Das wichtige Telefonat ist vergeblich bis ärgerlich, weder Worte noch Linie finden ihren wirksamen Platz – man spürt Gegenwind. Er bietet Widerstand, entmutigt zuweilen und lässt vorzeitig resignieren. Dann lohnt ein Innehalten – zurücktreten, das Ganze aus einer anderen Warte betrachten, die eigene Haltung überdenken. Im Schmuddelwetter leisten Gummistiefel, Wollpullover und Windjacke gute Dienste, bei Gegenwind hilft ein innovativer Ansatz, ein Umdenken, ein neuer Versuch. „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen“, schrieb Aristoteles. Das lässt doch ein mitunter gewichtiges atmosphärisches Phänomen in ganz anderem Licht erscheinen, finden Sie nicht?
Ihre Sabine Burbaum-Machert
Kommentare sind geschlossen.